Das Wichtigste in Kürze
- Wann dürfen Ärzte einem sterbenden Menschen Organe entnehmen? Wann dürfen sie Angehörige fragen, ob diese einer Organentnahme zustimmen?
- Solche heiklen Fragen regelt die Schweizerische Akademie für Medizinische Wissenschaften mit ihren Richtlinien zur Organspende.
- Nun hat die Akademie diese Richtlinien revidiert. Doch nicht alle sind damit glücklich.
4000 Patientinnen und Patienten sterben jährlich in der Schweiz auf einer Intensivstation. Viele in einer Situation, in der lebenserhaltende Massnahmen abgebrochen werden, weil der Tod nach medizinischem Ermessen unausweilich ist. Nur etwa 100 bis 120 Patienten spenden dabei ihre Organe. Ein schwieriges Thema, das die beteiligten Ärzte, Pflegefachleute und Angehörige gleichermassen fordert.
Voraussetzung für eine Organspende ist der Hirntod, der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen, wie Intensivmediziner Markus Béchir erklärt: «Hirntod bedeutet, dass die Maschine den Organkreislauf aufrecht erhält. Deswegen sieht es von aussen auch etwas speziell aus. Man hat das Gefühl, der Patient lebt ja noch. Das macht auch die Schwierigkeit aus, das den Angehörigen zu erklären.»
Was Ärzte tun dürfen – und was nicht
Der Hirntod muss also für eine Organspende erst festgestellt werden. Die Mediziner halten sich bei dieser schwierigen Aufgabe an die Richtlinien der Schweizerischen Akademie für Medizinische Wissenschaften. Diese definieren, wer zum Beispiel den Tod feststellen darf oder wie ein potenzieller Spender auf die Organentnahme vorbereitet wird.
Nun hat die Akademie das Papier überarbeitet, doch nicht alle sind damit zufrieden. Positiv beurteilt wird, dass manche Unklarheiten jetzt aus dem Weg geräumt sind. Dazu gehört etwa die Frage, wann die Angehörigen zur Organspende befragt werden dürfen.
Der Basler Mediziner Jürg Steiger hat die neuen Richtlinien federführend ausgearbeitet. Er sagt: «Die Gespräche müssen getrennt sein: Zuerst muss man über den Therapie-Abbruch sprechen, dann über eine potenzielle Organspende.»
Wille des Patienten hat Vorrang
Neu sagen die Richtlinien auch ganz klar, dass die Ärzte diese Gespräche führen dürfen, bevor der Tod des Patienten offiziell feststeht. Das verlangt sehr viel Fingerspitzengefühl.
Ein anderer wichtiger Punkt, der jetzt unmissverständlich geregelt ist: Der Wille der Patientin oder des Patienten geht vor: «Rechtlich ist die Situation ganz klar: Es zählt der Wille des Verstorbenen, und die Angehörigen müssen in seinem Sinn entscheiden», sagt Steiger.
Theorie und Praxis
Im Alltag ist dies allerdings sehr heikel. Bisher haben Ärzte davon abgesehen, gegen den Willen von Angehörigen auf einer Organentnahme zu bestehen, auch wenn der Patient eine Spendekarte hatte: «Wir haben letztendlich mit den Lebenden gefühlt haben und gesagt: Wenn sie das nicht wollen, machen wir es auch nicht.»
Tatsächlich sagen zwei Drittel der Angehörigen auf Intensivstationen Nein zur Organspende. In Umfragen sieht es immer anders aus, hier stimmen bis 90 Prozent der Bevölkerung zu.
Die Akademie geht davon aus, was gut ist für den Verstorbenen – und nicht für Patienten, die auf ein Organ warten.
Dieser Widerspruch soll sich nun auflösen, der Wille des Patienten, seine Organe zu spenden, konsequenter umgesetzt werden. Dadurch sollen auch die Organspenden steigen. Allerdings bezweifeln Fachleute, ob dies mit den neuen Richtlinien gelingt.
Die Grenzen des Patienschutzes
Intensivmediziner Béchir stört sich daran, dass gewisse Massnahmen ausgeschlossen sind. Zum Beispiel: Wenn ein spendewilliger Patient vor der Herztoddiagnostik einen Herzstillstand erleidet, darf sein Kreislauf nicht wiederbelebt werden.
Wenn die Angehörigen glaubhaft versichern könnten, dass Organspende wichtig sei und sich der Verstorbene dies gewünscht hätte, «dann hätte ich persönlich das Gefühl, wir wären dem Wunsch des Verstorbenen nicht gerecht geworden.» Doch die Richtlinien sagen klar: das geht nicht.
Béchir kritisiert, die Akademie berücksichtige vor allem die Interessen der Verstorbenen, nicht die der Patienten die auf ein Organ warten. Für ihn geht der Patientenschutz hier zu weit: «Aus Sicht von Patienten auf der Warteliste ist es wahrscheinlich auch nicht nachvollziehbar, dass man in diesem Fall auf eine Organspende verzichtet.»
Andere Länder wie zum Beispiel Spanien regeln die Organspende viel forscher als die Schweiz. Allerdings gibt es dort auch mehr Konflikte mit Angehörigen. Und dies will man hierzulande vermeiden.