Jean-Claude Junckers Brief an den Schweizer Bundespräsidenten («Lieber Ueli…») hat heute in Bern niemanden überrascht. Bereits seit Tagen hört man, dass der Zeitplan zum weiteren Vorgehen zwischen Brüssel und Bern eng abgesprochen sei. Dass aber der luxemburgische EU-Kommissionspräsident alle offenen Fragen in sieben Tagen lösen möchte, hat heute in der Wandelhalle für Kopfschütteln, Ärger und Schmunzeln gesorgt. Das sei allzu sportlich.
Seit letztem Freitag herrscht in Bern von links bis rechts (ausser bei der SVP) Konsens darüber, dass es drei Probleme zu lösen gilt mit Brüssel.
- die Unionsbürgerrichtlinie
- die staatlichen Beihilfen
- der Lohnschutz
Die ersten beiden Probleme liessen sich wohl schnell regeln, höre ich aus der Verwaltung und auch aus der Wandelhalle. Vielleicht gar in sieben Tagen. Ist es aber aus Schweizer Sicht klug, jetzt die «kleineren Probleme» (Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinie) zu regeln und sich die «Flankierenden» als Dessert für den Herbst aufzusparen?
Welche Konzessionen sind denkbar?
Diese Taktik verhindert, dass es Konzessionen übers Kreuz gibt. Was käme in Frage? Etwa dass die Schweiz der EU etwas entgegenkommt bei der Unionsbürgerrichtlinie. So könnte sich die Schweiz zum Beispiel bereit erklären, den Teil der Richtlinie, der die Personenfreizügigkeit regelt, zu übernehmen und alles was Bürgerrechte betrifft (inklusive Zugang zur Sozialhilfe), auszuschliessen. Im Gegenzug könnte die EU-Kommission eine Konzession machen beim Lohnschutz. Ein (frommer?) Wunsch der Schweizer Linken wäre etwa, bei Streitigkeiten über den Lohnschutz nur das Schiedsgericht entscheiden zu lassen und nicht den EUGH.
Solche Kreuz-Konzessionen könnten wichtig sein: Wie sich auch heute wieder gezeigt hat, ist und bleibt der Lohnschutz das «pièce de résistence». Unia-Gewerkschafter und SP-Nationalrat Corrado Pardini, aber auch SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard machten einmal mehr klar: Mit ein paar Präzisierungen und Erklärungen lasse sich das Lohnschutzproblem nicht lösen. Es brauche «Änderungen am Vertragstext» und damit «Nachverhandlungen». Genau das schloss heute Juncker in seinem Antwortbrief aber klipp und klar aus: «Ce dernier ne sera pas renégocié.»
Showdown um den Lohnschutz
Fazit: Trotz der neuen Dynamik zwischen Bern und Brüssel im Ringen um ein Rahmenabkommen bahnt sich beim Lohnschutz ein Showdown an. Dieser wird wohl nicht schon in einer Woche sein. Brüssel kann noch so Druck machen. Aus Berner Sicht scheint der enge Fahrplan unrealistisch.
Die grosse Frage, die sich dem Beobachter stellt, ist: Wer wird in diesem Spiel nachgeben? Die Schweiz oder die EU? Es ist offen. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Und es könnte weiterhin sein, dass dieses Rahmenabkommen an der Lohnschutzfrage scheitert.