Die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer hat ihren Rücktritt mit dem konservativen Kurs ihrer Partei unter Präsident Gerhard Pfister begründet. Sie selbst gehört zum sozialliberalen Flügel der CVP. Politologe Georg Lutz erklärt, was der Rücktritt für die Partei bedeutet.
SRF News: Hat Sie der Rücktritt Schmid-Federers überrascht?
Georg Lutz: Ja. Überraschend ist, dass sie den Abgang genutzt hat, um sehr laute und pointierte Kritik am Kurs der CVP und des eigenen Präsidenten zu üben.
Hat denn der sozialliberale Flügel tatsächlich keinen Platz mehr in der Partei?
Diese Kritik steht hier im Vordergrund. Die CVP ist seit vielen Jahrzehnten schon herausgefordert, zwei Flügel zu vereinigen: den konservativen ländlichen und den sozialliberalen. Diese gehören seit je her zur Partei. Nun kommt aber dazu, dass die CVP stark unter Druck ist. Seit 20 Jahren verliert sie fast systematisch sämtliche nationalen und viele kantonalen Wahlen. Sie ringt mit sich selbst, um diesen Niedergang aufzuhalten und eine Kehrtwende herbeizuführen.
In welche Schwierigkeiten bringt Schmid-Federer die CVP mit ihrem Rücktritt?
Pfister wird, je länger er im Amt ist, desto stärker unter Druck kommen. Er wurde in der Öffentlichkeit als jene Person wahrgenommen, die mit einer christlichen Wertedebatte den konservativen Flügel stärken wollte. Mit jeder Niederlage, die hinzukommt, gilt die Ausrede nicht mehr, dass die Zeit zu kurz war. Was zählt, ist die Arbeit des Präsidenten und seine politische Ausrichtung.
Ist der Rücktritt Schmid-Federers eine Niederlage für Pfister?
So weit würde ich nicht gehen. Die Partei hat Schwierigkeiten, die zwei Flügel zu vereinigen. Es wird zwar öffentlich immer als Stärke herausgestrichen, dass man breit aufgestellt sei. In der Realität ist es aber so, dass Konzessionen in Richtung des einen Flügels das Risiko bergen, dass man den anderen verärgert. Hier hat die Partei tatsächlich ein Problem. Wenn man beide Flügel pflegen will, ist das nicht nur eine Stärke, sondern kann zu heftigen Reibereien innerhalb der Partei führen.
Kann die Strategie aufgehen, Wähler in den konservativen Stammlanden zurückzugewinnen und gleichzeitig neue Wähler in den Städten für sich zu gewinnen?
Das ist ein extrem schwieriger Spagat. In der heutigen Zeit können Kampagnen nicht mehr lokal geführt werden. Stattdessen nehmen die Wähler vor allem wahr, wie sich die Partei und ihre wichtigsten Aushängeschilder national positionieren. Bei der CVP wird dies als Widerspruch wahrgenommen.
Wenn der aktuelle Trend weitergeht, muss die CVP weitere Verluste bei den nationalen Wahlen 2019 befürchten.
Absurd ist Pfisters Strategie nicht, denn die Partei hat auch ein Problem mit dem konservativen Flügel. Gerade in ihren Stammlanden ist ein erheblicher Teil der Wähler zur SVP abgewandert. Diese Abwanderung muss die CVP aufhalten. Umgekehrt ist es ihr überhaupt nicht gelungen, eine eher urbane, moderate Wählerschicht anzusprechen. In den Städten ist die CVP schwach, und sie hat dort in den letzten Jahren alles andere als dazugewonnen.
Muss die CVP befürchten, auch bei den nächsten Wahlen 2019 herbe Verluste einzufahren?
Ja, die Partei ist unter Druck. Sie leidet darunter, dass ihr Profil zu wenig erkennbar ist. Und wenn der aktuelle Trend weitergeht, muss die Partei weitere Verluste bei nationalen Wahlen 2019 befürchten.
Das Gespräch führte Daniel Eisner.