Wie die Lage auf dem Markt sei? «Beschissen», sagen viele Schweinezüchter unisono. «Wir bezahlen aktuell dafür, unsere Arbeit machen zu können», sagt ein Bauer zu «10vor10». Nur die Farbe der Geldnoten variiere, die man an die Schwänzchen der Ferkel hänge. Pro Ferkel, das die Züchter an Schweinemäster verkaufen, verliere man zwischen 20 und 50 Franken.
Beim Schweineproduzentenverband Suisseporcs jagen sich die Krisensitzungen, und die Telefone laufen heiss: Wie man hört, würden sich Bauern beklagen, das Tierfutter nicht mehr bezahlen zu können. Ein Bauer mit vierköpfiger Familie sagt «10vor10», er habe sich mit 30'000 Franken verschulden müssen, allein, um die Futterkosten finanzieren zu können. Dazu kämen höhere Energiekosten und teure Veterinärrechnungen. Je länger die Krise dauert, desto mehr Betriebe werden schliessen müssen.
Verstösse gegen Tierschutz
Die Branche spricht gerne vom Schweinezyklus; davon, dass die Preise mal höher, mal tiefer sind. Aktuell aber sind die Produzentenpreise auf einem historischen Tiefststand. Und die Überproduktion führt zu einem Rückstau, der den Tieren schadet: Die Schweineproduzenten müssen längere Zeit warten, bis ihre Mastschweine abgeholt und zum Schlachthof gebracht werden.
Die Tiere werden schwerer und machen sich den Platz im Stall streitig. Gleichzeitig bleiben ihre Plätze belegt, in die Ferkel nachstossen sollten. «Im Sommer waren unsere Schweine gestresst, weil sie rund 10 Kilo zu schwer waren und wir Platzprobleme hatten», erzählt der Bauer. Die Folge: Schwanzbeissen, eine Verhaltensstörung. Ungewollt hat der Bauer gegen das Tierschutzgesetz verstossen.
Ungehörte Warnung
Wie konnte es so weit kommen? Der Schweinemarkt ist unreguliert, Züchter und Mäster können so viele Tiere produzieren, wie sie wollen. Während der Corona-Pandemie war die Produktion von Schweinen ein gutes Geschäft, weil die geschlossenen Grenzen den Einkaufstourismus verunmöglichten. Suisseporcs, der Verband der Schweineproduzenten, hatte mehrfach vor einer Überproduktion gewarnt – vergeblich.
Seit Juni 2021 findet ein historischer Preissturz statt. Rund 10 Prozent zu viele Schweine sind auf dem Markt. Der Preis liegt auf rekordtiefen 3 Franken pro Kilo geschlachtetes Schwein – 35 Prozent tiefer als zu den besten Zeiten während der Pandemie. Im Laden aber spüren die Konsumentinnen und Konsumenten nur wenig vom freien Fall der Preise.
Konsumenten und Konsumentinnen profitieren kaum
Die Marktanalyse des Bundesamts für Landwirtschaft zeigt: Die Konsumentenpreise des Warenkorbs an konventionellen Schweinefleischprodukten sind seit Juni 2021 nur um 12 Prozent gesunken – Aktionen einberechnet. Auf Nachfrage verweisen Migros und Coop auf höhere Energie- und Transportkosten, die die Verarbeitung des Schweinefleisches verteuern würden. Preisüberwacher Stefan Meierhans reicht diese Erklärung nicht. Wenn der Unterschied zwischen Produzenten- und Konsumentenpreis so gross ist, müsse man sich fragen, ob der Konsument zu seinem Recht kommt: «Ich erwarte vom Detailhandel, dass er diese Preissenkungen weitergibt».
Auch Steuerzahler muss Misere ausbaden
Pikant: Die Konsumentinnen und Konsumenten werden auch als Steuerzahlende für die Fehlleistungen der Schweinebranche zur Kasse gebeten. Der Bund sieht bis zu 3.1 Millionen vor, um den Markt zu entlasten. Rund 20'000 überschüssige Schweine sollen geschlachtet und eingelagert werden. Nebst der Einlagerungsaktion sollen rund 30'000 geschlachtete Schweine exportiert werden. Der Export wird von den Schweinemästern und den Viehhändlern bezahlt.
Insider: Export zu Tönnies
Wer aber kauft das überflüssige Schweizer Schweinefleisch? Die Branche übt sich in Stillschweigen. Insider sagen: Ein Abnehmer sei der umstrittene deutsche Fleischmulti Tönnies. Und der Pressesprecher von Coop-Tochter Bell sagt, man erwäge, geschlachtete Schweine zur Bell-Filiale in Polen zu exportieren. Das ist für die Schweiz ein grosses Verlustgeschäft. Allein in Deutschland ist das geschlachtete Schweinefleisch im Einkauf ein Drittel günstiger.