Minutiös hatten die Verantwortlichen das Vorhaben geplant. Alles war für den Start der Brückensanierung auf der SBB-Strecke Luzern-Zug-Zürich vorbereitet. Und nun könnte ihnen ausgerechnet der Föhn in die Quere kommen, den Riesenkran aus dem Gleichgewicht bringen. Bei Stefan Wassmer, Gesamtprojektleiter bei der SBB, ist Anspannung spürbar.
Er checkt noch einmal das Wetter. Grünes Licht: «Wir können loslegen», gibt Wassmer per Handy durch. Kurz darauf hebt der grösste Raupenkran der Schweiz das 47 Meter lange Brückenelement in die Höhe. 185 Tonnen Last schweben in der Luft. «Auf diesen Tag haben wir jahrelang hingearbeitet.»
Bis im Herbst 2027 setzt die SBB die Reussbrücke Fluhmühle in Luzern instand. Der Korrosionsschutz des denkmalgeschützten Bauwerks muss erneuert werden, dies geschah zuletzt vor knapp 40 Jahren.
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Bild 1 von 3. Schaulustige haben das Spektakel vom Ufer aus beobachtet. Bildquelle: Screenshot SRF.
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Bild 2 von 3. Um den Raupenkran aufstellen zu können, brauchte es eine Plattform in der Reuss. Dazu musste ein Teil der Bäume entlang des Ufers gefällt und die Stelle aufgeschüttet werden. Links im Bild ist das historische Brückenelement, rechts das Provisorium zu sehen. Bildquelle: Screenshot SRF.
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Bild 3 von 3. Die Instandstellungsarbeiten dauern bis Herbst 2027. Bildquelle: Screenshot SRF.
Wegen des Bahnbetriebs werden die drei Brückenelemente eines nach dem anderen herausgehoben und am Ufer saniert. Ein Provisorium ermöglicht es, dass weiterhin rund 200 Züge pro Tag über die 144 Meter lange, eingleisige Brücke rollen können.
Die SBB rechnet für dieses Projekt mit Kosten von rund 15.3 Millionen Franken. Wäre da eine neue Brücke nicht günstiger gewesen? «Nein», sagt Stefan Wassmer. «Eine Studie ergab: Die Kosten wären 30 bis 40 Prozent höher gewesen.»
Stahlkoloss steht unter Denkmalschutz
Die Reussbrücke Fluhmühle ist eine der wenigen noch erhalten gebliebenen Halbparabel-Fachwerkträgerbrücken der Schweiz. Und leistet mittlerweile seit über hundert Jahren ihren Dienst: Am 21. September 1921 wurde sie dem Eisenbahnverkehr übergeben. Nach 13 Monaten Bauzeit.
Die denkmalgeschützte Stahlkonstruktion ersetzte damals die Brücke von 1863/64. Jene hatte noch fünf Bögen und musste mit der Elektrifizierung der Bahnstrecke 1922 dem heutigen Bauwerk weichen. «Denn die elektrischen Lokomotiven waren sehr viel schwerer als die Dampflokomotiven», sagt Susanna Kraus Casutt, Co-Leiterin des Stadtarchivs Luzern.
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Bild 1 von 6. Die heutige Reussbrücke ersetzte das ursprüngliche Bauwerk mit fünf Bögen. Da der Neubau an derselben Stelle entstehen sollte, mussten die Gleise während der Bauzeit verlegt werden. Bildquelle: Stadtarchiv Luzern.
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Bild 2 von 6. Am 25. August 1920 kam es zum Spektakel: Zwischen 11:25 und 11:45 Uhr wurde die 430 Tonnen schwere Brücke mitsamt Personen und 10-Tonnen-Kran auf den Gleisen um neun Meter verschoben. Danach posierten Arbeiter, SBB-Beamte und Ingenieure stolz auf der Brücke. Bildquelle: Stadtarchiv Luzern.
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Bild 3 von 6. Die alte Brücke vor der Verschiebung: Hölzerne Pfähle bildeten die provisorischen Stützen. Zwischen ihnen und den Pfeilern wurden Verschubbahnen mit Rollenzügen montiert. Bildquelle: Stadtarchiv Luzern.
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Bild 4 von 6. Belastungsprobe der provisorischen Brücke: Zwei Lokomotiven fuhren mit vollem Dienstgewicht von je 115 Tonnen mit 25 Kilometern pro Stunde auf die Brücke und vollzogen in der Mitte eine Vollbremsung. Regulär galt 10 Kilometer pro Stunde und Bremsverbot. Bildquelle: Stadtarchiv Luzern.
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Bild 5 von 6. Für kurze Zeit nebeneinander: links die neue, aber noch nicht befahrbare Brücke, rechts die alte, als Provisorium genutzte Brücke, die später zurückgebaut wurde. Die Aufnahme datiert von 1921. Bildquelle: Emil Synnberg/Stadtarchiv Luzern.
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Bild 6 von 6. Blick auf die fertiggestellte Eisenbahnbrücke über die Reuss, vermutlich 1921. Bildquelle: Stadtarchiv Luzern.
Aus heutiger Sicht wirken die Baustelleninstallation wie auch die Arbeitsverfahren von damals tollkühn. «Einfachste Mittel kamen zum Einsatz», sagt Kraus. «Kleine Krane, ganz viel Handarbeit und Holz für die provisorischen Bauten.» Die Stahlträger seien Stück für Stück zusammengesetzt und genietet worden.
Damals wurde das menschliche Leben noch nicht so hoch gewichtet wie heute.
Sicherheit? Liess zu wünschen übrig. «Die Arbeiter turnten ohne jegliche Sicherung auf den Gerüsten herum», sagt Kraus. Der Bau der Reussbrücke ging denn auch mit einigen Unfällen einher. Ein Mann wurde von einem herabfallenden Balken erschlagen.
Belegt ist auch der Tod von zwei Ingenieuren und zweier ihrer Arbeiter. Bei der Sprengung der provisorischen Brückenpfeiler hatte ein Zünder versagt. Die Untersuchung des Zündapparates löste eine Explosion aus und riss die vier Männer in den Tod. «Damals wurde das menschliche Leben noch nicht so hoch gewichtet wie heute», so Kraus.
Gleiches Prozedere folgt nun noch zweimal
Zurück ins Jetzt. Stefan Wassmer, Gesamtprojektleiter bei der SBB, steht am Reussufer und zieht Bilanz: «Mir ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen», sagt er. «Es ist alles so gelaufen, wie wir uns das erhofft haben.» Wenn es so weitergehe, sei er sehr zufrieden.
Das Kranspektakel wird nun noch zweimal wiederholt, das nächste Mal in einem halben Jahr. Im Herbst 2026 soll der Riesenkran dann den letzten Stahlkoloss zurück an seinen Platz auf der Eisenbahnbrücke bringen.