Liveticker! Alles Weltbewegende in Sekundenschnelle:
«Bombeneinschlag auf dem Gelände des Roten Kreuzes in Gaza.»
«09:45 Uhr – Schweizer Nati beim Frühstück.»
«11:53 Uhr – Neue Leichenteile in Charkiw gefunden.»
«Die Nati auf einem Spaziergang»,
entnehme ich den Push-Mitteilungen. Als ginge es im Fussball um Leben und Tod.
«18:05 Uhr – Letzte Mahlzeit vor dem Spiel.»
Ist das so wichtig? Okay, ich bin ja auch an die EM gefahren, mehr aus Jux: Italien gegen Spanien. Unser Grüppchen schwärmt seit der Jugend für die «Azzurri», damals war die Schweiz nie an einer Endrunde dabei.
Doch kaum hatte ich ein Bild von uns in den azurblauen Trikots auf Instagram geteilt, gingen die Anfeindungen los: falsche Nation! Landesverrat! Als ginge es um Leben und … Tote gab es dieser Tage in Mekka – mehr als tausend Menschen starben den Hitzetod. Verglüht, verbrannt, versengt. Derweil regnete es im Süden der Schweiz so stark wie nie, im Misox begrub eine Gerölllawine Menschen unter sich.
Die Fussballer wären gern europäische Spitze. Wie Nemo! Wie Alain Berset!
«Wettlauf gegen die Zeit am San Bernardino» , tickert der Ticker, und gemeint sind nicht die Vermissten, sondern die A13. Autobahnminister Albert Rösti fordert deren sofortige Instandstellung, auf dass der Ferienverkehr gen Süden rollen könne! Manche meinen zwar, am Mittelmeer werde es bald derart heiss – da wolle man gar nicht mehr hin. Und vielleicht wäre just dies wichtig: dass das Klima verrücktspielt. Wegen der Autos, der Abgase …
Ach, der Fussball! Macht die Welt so klein, dass wir sie verstehen: Mein Land gegen dein Land.
«15:40 Uhr – Abschlusstraining der Nati.»
Die Fussballer wären gern europäische Spitze. Wie Nemo! Wie Alain Berset! Der ja nun als Generalsekretär den Europarat lenkt. Ausgerechnet! Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, einer Institution selbigen Rates, hätten uns nicht zu kümmern, befand jüngst unser Parlament. Da könnten die in Strassburg noch lange befinden, die Schweiz mache zu wenig fürs Klima.
«Schweizer Nati: Abfahrt Richtung Stadion.»
Ach, der Fussball! Macht die Welt so klein, dass wir sie verstehen: mein Land gegen dein Land. Aber spielt Nationalität eine Rolle? Schliesslich führen die Tellspiele in Interlaken heuer auch nicht «Wilhelm Tell» auf, sondern «Robin Hood», den es genauso wenig gab wie unseren Tell. Den hat Schiller für uns erfunden, ein Deutscher. Wenn wir auch keine fremden Richter dulden – ein fremder Dichter darfs sein.
Und in Frankreich, wo die rassistische Rechte gerade die Wahlen gewinnt, wer trägt da das Nationaldress?
Unsere Jungs wollen Italien schlagen! «Unsere»? Sind ja allesamt Einwanderinnensöhne. Wie der beste Spanier einst ghanaischer Asylbewerber war, der beste Belgier halb Kameruner, halb Brite ist – und Deutschlands Captain ursprünglich Türke. Und in Frankreich, wo die rassistische Rechte gerade die Wahlen gewinnt, wer trägt da das Nationaldress? Durchwegs Spieler mit … voilà: Migrationshintergrund. Wirklich weltbewegende Probleme halten sich ohnehin nicht an Grenzen: «Unwetter im Baselbiet.» – «Neue Hitzetote in Nordamerika.»
Das Spiel am Samstag schaue ich mir besser zu Hause an. Damit sich niemand über das Trikot echauffiert, das ich dann vielleicht trage. Und wer schliesslich gewinnt, ist nun wirklich nicht wichtig.