«Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung», sagt der Volksmund. Wenn er Recht hat, ist der SBB heute etwas Wichtiges gelungen: Erstmals haben die Verantwortlichen der Bundesbahn offen über ihre Probleme mit den Verspätungen geredet und mögliche Lösungen skizziert.
Zwar haben die beiden führenden Bähnler auch heute wieder darauf hingewiesen, dass nach wie vor 9 von 10 Fahrgästen der SBB pünktlich ans Ziel kämen und dass das im internationalen Vergleich nach wie vor einen Spitzenwert darstelle. Doch die Erkenntnis scheint sich durchgesetzt zu haben, dass die Schweizer Bahnkundschaft von ihrer SBB mehr erwartet als einfach besser zu sein als die anderen. Wenn in der Schweiz täglich 125'000 Passagiere zu spät ankommen, deswegen vielleicht einen Anschluss oder einen Termin verpassen, weil sie sich zu Unrecht auf die SBB verlassen haben, nützt ihnen die Statistik nichts.
«Bedarf unterschätzt – Rekrutierung verschleppt»
Bemerkenswert am heutigen Auftritt der SBB-Spitze war etwa, wie deutlich sie die Fehler bei der Lokführer-Planung eingeräumt hat. Die SBB hat den Bedarf unterschätzt und darum die Rekrutierung verschleppt. Das ist korrigiert, aber der Mangel wird noch zwei Jahre zu spüren sein. Ähnlich lange wird die SBB brauchen, bis die zu spät gelieferten und auch falsch konzipierten Bombardier-Doppelstock-Züge endlich verlässlich fahren.
Anschlüsse wichtiger als Schnelligkeit
Neu ist die Philosophie, man werde Anschlüsse höher gewichten als Fahrzeitverkürzungen. Mit anderen Worten: Lieber länger unterwegs von A nach B und dafür ist sichergestellt, dass der Zug nicht verspätet ankommt und die Fahrgäste ihren Anschluss erwischen. Dabei hofft die SBB, dass diese Planungssicherheit den Kunden lieber ist, als möglichst schnell am Ziel zu sein. Mit dieser Hoffnung könnte die SBB richtig liegen.
Schwieriger wird es bei anderen mittelfristigen Massnahmen für mehr Pünktlichkeit, die die SBB prüft. Bei S-Bahnen und Interregios sollen gewisse Halte gestrichen werden. Hier ist regionaler Widerstand genauso programmiert wie bei der Idee, in Randzeiten die Züge auf gewissen Linien durch Busse zu ersetzen, um so Lokführer freizuspielen.
SBB ist auf Politik angewiesen
Überhaupt wird die SBB ihren Kampf gegen die Verspätungen nur mit Hilfe der Politik gewinnen können. Die Kantone müssen einsehen, dass nicht jede Bestellung, nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann. Und Verwaltung, Bundesrat und Parlament müssen sich bei ihren Plänen für das künftige Bahnnetz vermehrt die Frage stellen, wie viel Ausbau wie rasch möglich und nötig ist. Damit die vielen Baustellen und der nötige Unterhalt das Bahnsystem nicht gefährden.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob der Einfluss der Politik im Bahnverkehr nicht zu gross ist. Heute besteht die Gefahr, dass (regional-)politische Argumente höher gewichtet werden als Kundenbedürfnisse oder betriebliche Überlegungen. Mehr Autonomie und mehr Spielraum für eine weiterhin staatliche SBB könnten hier Abhilfe schaffen. Diese Einsicht in der Politik fehlt jedoch noch.