Von Kantonshauptstadt nach Kantonshauptstadt trudeln derzeit erfreuliche Nachrichten ein: nämlich Gewinne in Millionenhöhe. Der Kanton Aargau verzeichnet ein Plus von 116 Millionen Franken – budgetiert waren einmal 42 Millionen. Noch grösser fällt die Diskrepanz im Kanton Luzern aus: Statt eines Minus von 8.5 Millionen resultierte ein Plus von 204.5 Millionen Franken. Und im grössten Kanton der Schweiz – Zürich – lag man gar um eine ganze Milliarde Franken daneben.
Wie kann das sein? Und steckt System seitens der Finanzdirektionen hinter diesen pessimistischen Prognosen?
Höhere Einnahmen, tiefere Ausgaben
Während der Budgetdebatten im vergangenen Herbst war die Sorge in den Kantonen vor einer ungewissen Zukunft gross. Von Tausenden Ukraine-Flüchtlingen, die untergebracht werden mussten oder einer Energie-Mangellage, auf die man sich vorbereiten musste. Zudem waren die Nachwehen der Coronakrise noch spürbar.
Tatsächlich kam es ganz anders. Einerseits florierte die Wirtschaft. Weniger arbeitslose Personen bedeutete auch tiefere Kosten für die Kantone, etwa in der Sozialhilfe oder bei den Prämienverbilligungen. In vielen Kantonen fielen die Steuereinnahmen zudem deutlich besser aus als prognostiziert. So resultierten im Kanton St. Gallen 32 Prozent mehr Einnahmen als geplant.
Dann kamen da auch noch die vielen Milliarden der Schweizerischen Nationalbank (SNB) – im Kanton Aargau etwa 107 Millionen Franken, im Kanton Zürich waren es 124 Millionen. Insgesamt zahlte die SNB nach dem guten Geschäftsjahr 2021 vier Milliarden Franken an die Kantone aus.
Ausgaben erhöhen oder Steuern senken?
Wie kommt es also zu diesen Prognosen? Heinz Tännler, Regierungsrat und Finanzdirektor des Kantons Zug, erklärt gegenüber SRF, dass die eigene Behörde jeweils zwei bis drei Jahre in die Vergangenheit schaue und dann anhand aktueller Prognosen im Budget «ein realistisches Szenario» abbilde. Dabei wolle man nicht «in eine Euphorie» verfallen.
Diese Gefahr bestehe definitiv nicht, findet Lukas Rühli, Ökonom beim wirtschaftsnahen Thinktank Avenir Suisse. «Die Kantone budgetieren ganz klar zu vorsichtig.» Schon in der Vergangenheit hätten sie sich verrechnet, im letzten Jahr gar um rekordverdächtige sieben Milliarden Franken.
Eine bewusste Taktik verortet Rühli dahinter nicht. Dennoch müsse man sich Fragen stellen. Aus Sicht der Verwaltungen hätten die pessimistischen Prognosen nämlich verschiedene Vorteile: So liessen sich Ansprüche vonseiten der Stimmbürger oder des Bundes mit dem Argument der fehlenden Mittel abwehren.
Die pessimistischen Prognosen stehen im Konflikt mit der Generationengerechtigkeit.
Und tatsächlich: Die hohen Überschüsse wecken Begehrlichkeiten. Bürgerliche fordern Steuersenkungen, während man auf linker Seite mehr Ausgaben sehen will, beispielsweise in der Form von zusätzlichen Prämienverbilligungen oder Massnahmen fürs Klima.
Doch Experte Rühli sieht die falschen Prognosen noch aus einem anderen Punkt kritisch: der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Viele Kantone bauen mit den Überschüssen Schulden ab und korrigierten damit «Fehler aus der Vergangenheit». Auch wer Geld beiseite lege, handle ungerecht, findet der Ökonom. Auch in diesem Fall würden nämlich nicht die eigentlichen Geldgeber – die aktuellen Steuerzahler – sondern zukünftige Generationen belohnt.
Ob die Diskussion um die pessimistischen Prognosen anhält, ist ungewiss. Dieses Jahr gibt es von der Nationalbank wohl kein Geld für die Kantone. Auch die konjunkturelle Aussicht ist angesichts hoher Zinsen, anhaltendem Krieg und Handelsdisputen unklar. Mehrere Kantone rechnen darum vorsorglich schon einmal mit einem Minus.