In Zürich wehren sich Schülerinnen und ihre Eltern gegen ein Geschichts-Schulbuch, in dem Frauen stark untervertreten sind. Nur sechs der 48 porträtierten «Persönlichkeiten der Schweizer Geschichte» sind weiblich.
«Das liegt einfach nicht mehr drin», sagt Barbara Dietrich, Mutter der 12-jährigen Lynn. Die Schülerin besucht in Zürich die 6. Klasse und ärgert sich. Es ist ein freiwilliges Lehrmittel für das Fach Mensch, Natur und Gesellschaft. Unter den wenigen weiblichen «Persönlichkeiten» figurieren: Bond-Girl Ursula Andress, Märlitante Trudi Gerster und Elisabeth Kopp, die unter Kritik zurückgetretene, erste Schweizer Bundesrätin.
«Das ist ein Skandal»
«Es ärgert mich, dass weniger Frauen abgebildet sind und die Auswahl noch so doof ausfällt», sagt Schülerin Lynn gegenüber der «Rundschau». «Das ist ein Skandal. Buben und Mädchen erhalten so das Gefühl, Frauen könnten noch immer nichts bewirken», ergänzt ihre Mutter.
Lynn, ihre Freundin Maria und etliche Eltern sind empört über das Lehrmittel, das der private Verlag Zürcher Kantonale Mittelstufe (ZKM) herausgegeben hat. In einem Brief fordern sie den Verlag auf, dieses zu überarbeiten. Sie fordern die «gleiche Anzahl Frauen und Männer in ihrer ganzen Variabilität.»
Die zuständige Schulkreispräsidentin Gabriela Rothenfluh erklärt, der Einsatz freiwilliger Unterrichtsmaterialien liege in der Verantwortung der Lehrer und Schulen, Kontrollen seien nicht üblich. Die betroffene Lehrperson habe aber eingesehen, dass das Lehrmittel problematisch sei. Sie werde anregen, das Lehrmittel nicht mehr zu verwenden.
Kein Einzelfall
In Schweizer Schulbüchern stehe es schlecht um die gerechte Repräsentation der Geschlechter. In vielen Lehrmitteln fehlten Protagonistinnen überwiegend. Zu diesem Schluss kommt Elena Makarova, die an der Universität Basel die Geschlechter-Repräsentation in naturwissenschaftlichen Lehrbüchern erforscht.
Die Direktorin des Instituts für Bildungswissenschaften sagt, in den untersuchten Büchern seien nur maximal 10 Prozent der Protagonistinnen weiblich. Zudem würden Frauen anders als Männer dargestellt. «Weibliche Protagonistinnen sind jung, erscheinen eher in Freizeitaktivitäten. Männer sind älter und werden oft bei der Ausübung ihres Berufs abgebildet.»
Stereotype Abbildungen seien in Lehrbüchern bis heute verbreitet, erklärt Makarova. Sie könne die Empörung der Zürcher Schülerinnen verstehen.
Kein Verständnis für Empörung
Samuel Ramseyer, Bildungsrat im Kanton Zürich und SVP-Politiker, hingegen nicht: «Das ist ein Geschichtslehrmittel. In der Geschichte haben Frauen halt eine weniger wichtige Rolle gespielt, von daher verstehe ich die Empörung nicht». Ramseyer betont, das Lehrmittel sei als ergänzendes Material für Lehrer gedacht.
Der Verlag ZKM hat auf den Beschwerdebrief der Schülerinnen reagiert. Verlagsleiter Hans-Walter Tobler stoppte den Verkauf des Lehrmittels und will es noch in diesem Jahr zusammen mit dem Autor überarbeiten. Letzterer wollte sich gegenüber der «Rundschau» nicht äussern.