«Wir haben überhaupt keinen Überblick über die Zahlen.» So äussert sich die eidgenössische Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) telefonisch zu einem der akutesten Probleme der Schweizer Schulen, dem Lehrermangel – oder präziser: dem Lehrerinnenmangel. Mittlerweile sind in der Primarstufe über 80 Prozent Frauen tätig. Und da fehlen die meisten Lehrpersonen.
Dass die EDK keinen Überblick hat, erstaunt, schliesslich wird der Lehrerinnen- und Lehrermangel seit Jahren fast schon rituell zur Sommerzeit ausgerufen. Schulgemeinden und Schulleiter machen im Juni und Juli vor allem eines: Händeringend nach Lehrpersonal fürs anstehende Schuljahr suchen.
Im Juni hat die Luzerner Gemeinde Schötz dazu sogar die Erstklässler «eingespannt»: Schulleiter Peter Bigler persönlich griff zur Kamera und liess seine Schützlinge im Video selber aufsagen, was eine neue Lehrerin alles können sollte. «Sie muss lieb sein», «Er muss Fussball spielen können», «Sie müsste gut zeichnen können» – Wünsche, die aufzeigen, was Lehrpersonen heute alles draufhaben sollten.
Die Krux mit dem Lehrerlohn
Aber weshalb lässt sich dieses anhaltende Problem nicht lösen? Zumal es nicht vom Himmel fiel. Die vielen Lehrerinnen- und Lehrer-Pensionierungen, die seit 2016 und noch bis 2027 vonstattengehen (Babyboomer-Generation), waren schon lange bekannt. Der andere Treiber: Die Schweiz hat wieder viel mehr Kinder – das heisst, mehr Kinder werden eingeschult. Die Schere, die sich öffnet, war also absehbar. Weshalb stehen Behörden und Schulleiter dennoch jeden Sommer immer wieder vor leeren Lehrerpulten?
Die Lehrpersonen sagen, ihr Beruf erfahre zu wenig Wertschätzung. Es gebe viel zu viele Überstunden. Und die Löhne seien zu tief. Richtig ist – und das lässt sich belegen: Kantone mit höheren Löhnen haben weniger Probleme, genügend Lehrpersonen zu finden. Richtig ist auch, dass sie mit besseren Löhnen anderen Kantonen auch Lehrpersonen abjagen. Mehr Lohn wirkt also.
Lehrpersonen dürften sich aber auch bewusst sein, dass sie bereits gut, ja überdurchschnittlich gut verdienen. Der Medianlohn aller Lehrpersonen schweizweit liegt bei 9200 Franken pro Monat. Lehrerinnen und Lehrer auf Primarstufe können bis zu 117'000 Franken verdienen.
Beruf ist zum Teilzeitjob geworden
Mehr Lohn könnte Lehrpersonen aber auch reizen, ihre Arbeitspensen noch weiter zu reduzieren. Es gibt wohl nur wenige gut bezahlte Berufe mit durchschnittlich so tiefen Arbeitspensen. Konkret: Nicht einmal jede dritte Lehrperson arbeitet über 90 Prozent. Die Hälfte arbeitet weniger als 90 Prozent, ein Drittel sogar weniger als 50 Prozent. Der Lehrerberuf ist zum Teilzeitjob geworden – und das ist nicht unbedingt imagefördernd.
Der Forderung nach mehr Lohn steht deshalb der beim Lehrpersonal unpopuläreren Forderung nach vorgeschrieben Mindestpensen gegenüber. Der Lehrerinnen- und Lehrermangel im Kanton Zürich beispielsweise würde sich halbieren, täte nur jede Lehrperson ein Prozent mehr arbeiten. Gegen Mindestarbeitspensen aber wehren sich die Lehrpersonen massiv. Deshalb darf man sagen: Der Lehrerinnen- und Lehrermangel ist auch «hausgemacht».
Lösen könnten das die Erziehungsdirektorinnen und -direktoren. Aber obwohl das Problem seit Langem bekannt ist, hat die EDK erst letzten Herbst eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich das Problem anschaut – ja, nur anschaut: Lösungen sollen nicht erarbeitet werden. Nur Daten beschaffen will man.
Denn, auch das ist aus der EDK zu vernehmen: Es soll weiterhin eine interkantonale Konkurrenz um das Lehrpersonal geben. Wettbewerb um Lehrerinnen und Lehrer also. Jeder Kanton möchte für sich schauen. Deshalb werden auch nächsten Sommer wieder Kinder um neue Lehrerinnen betteln, die Lehrer um mehr Lohn bitten und die Politik das Problem beklagen.