Die Corona-Massnahmen werden immer weiter gelockert. Für viele ist das ein Grund zur Freude. Für schätzungsweise 100'000 Menschen in der Schweiz wird die neue Freiheit aber zu einer grossen Herausforderung. Denn sie können sich zwar impfen lassen, aber die Impfung schützt sie nicht richtig vor der Krankheit.
Manfred Kopf, Immunologe und Professor an der ETH Zürich, verfolgt die neuesten Studien über die mögliche Behandlung von immungeschwächten Personen mit Interesse. «Nach der Zweitimpfung waren es etwa 40 Prozent und nach der dritten Impfung immerhin 68 Prozent, die eine Immunantwort entwickelt haben.»
Nach der dritten Impfung haben immerhin 68 Prozent geantwortet.
Eine dritte Impfung hat in einer französischen Studie also die Anzahl Menschen deutlich erhöht, die doch noch Antikörper bildeten. «Tatsächlich ist die Antwort nicht so stark wie bei Immunkompetenten, aber es ist ein Nutzen da. Grundsätzlich geht man davon aus, dass bei vielen dadurch ein besserer Schutz erzielt werden kann», so Kopf.
Und das könnte laut Kopf entscheidend sein: «Auch wenn es dann tatsächlich nur dazu führt, dass diese Patienten keinen schweren Verlauf haben, wäre das schon ein grosser Gewinn durch diese dritte Impfung.»
Auch wenn es nur dazu führt, dass diese Patienten keinen schweren Verlauf haben, wäre das ein sehr starker Gewinn durch diese dritte Impfung.
Verschiedenste Ursachen für Immunschwäche
Doch es werden lange nicht alle Menschen mit einer Immunschwäche gleich reagieren, denn die Probleme mit dem Immunsystem haben unterschiedlichste Ursachen, wie Daniel Speiser erklärt, Arzt und Immunologe und emeritierter Professor an der Universität Lausanne.
«Leute, die transplantiert sind, erhalten meist mehrere immunsuppressive Medikamente. Daneben sind es besonders Krankheiten des Blutsystems wie beispielsweise Leukämie, die das Immunsystem in verschiedenen Graden schwächen können.» Es sind zudem Patientinnen und Patienten betroffen, die immunhemmende Medikamente einnehmen müssen, sei es etwa wegen einer Arthritis oder einer Multiplen Sklerose.
Zahl der Betroffenen nur abschätzbar
Wie viele Menschen in der Schweiz genau betroffen sind, lässt sich laut Speiser nur abschätzen: «Das sind vielleicht 100‘000, doch genau sagen lässt sich das nicht. Denn es gibt ganz verschiedene Gruppen, bei denen auch verschiedene Argumente ins Spiel kommen, wenn es um die Immunität gegen das Coronavirus geht.»
Das sind vielleicht 100‘000, doch genau sagen lässt sich das nicht.
Denn das menschliche Immunsystem ist ein hochkomplexes Zusammenspiel verschiedener Zellen und Botenstoffe. So gibt es Patienten, die keine funktionierenden sogenannten «B-Zellen» haben. B-Zellen sind die Zellen, welche die Antikörper produzieren.
«Bei anderen Patienten fehlen andere Immunzellen, doch sie haben noch B-Zellen, die Antikörper produzieren. Zugleich basiert der Immunschutz gegen das Coronavirus nicht nur auf Antikörpern, sondern eben zum Beispiel auch auf den T-Zellen», so Speiser.
Wie stark antworten T-Zellen?
Das bedeute, dass auch bei Menschen, die keine oder kaum Antikörper bilden, eben doch ein Immunschutz möglich sei, sagt Kopf von der ETH: «Da wissen wir aber noch nicht – es kann sein, dass unter Umständen wenigstens eine T-Zellen-Antwort, also eine zelluläre Immunantwort, stattfindet.»
Dies müsste in zusätzlichen Studien noch geklärt werden. Denn gerade die Stärke einer solchen T-Zellen-Antwort ist unklar: «Momentan sehe ich keine Gruppe, bei der es völlig aussichtslos ist, einen Immunschutz durch Impfung zu generieren. Es ist nur die Frage, in welcher Gruppe und zu welchem Prozentsatz Schutz da ist, also wie gross die Chance ist.»
Momentan sehe ich keine Gruppe, bei der es völlig aussichtslos ist.
Geht es nach Manfred Kopf, könnte die Empfehlung zu einer dritten Impfung wohl bald kommen – er rechnet damit noch in diesem Jahr.