Ein Bericht der «NZZ am Sonntag» hat aufhorchen lassen: Die 21 Casinos der Schweiz haben in vergangenen Jahr mehr als 3500 Gäste mit Spielsperren belegt. Die Zahl der Ausgeschlossenen ist damit auf den historischen Rekordwert von 43‘000 gestiegen.
Die hohe Zahl der Spielsperren erfasst nicht nur, aber auch, spielsüchtige Personen – von denen es in der Schweiz nicht wenige gibt. Thomas Reisch, Chefarzt im Psychiatriezentrum Münsingen (BE), gibt an, dass die Krankheit 0,5-0,8 Prozent der Schweizer im Erwachsenenalter betreffe.
Bund hat Risiko erkannt
Der Bund hat, seitdem Spielbanken im Jahr 2000 legalisiert worden sind, das Risiko des exzessiven Glücksspiels erkannt. Über die Eidgenössische Spielbankenkommission ESBK prüft er laufend, ob sich die Casinos um den im Bundesrecht vorgesehenen Sozialschutz bemühen. Doch ist die Aufsicht durch die ESBK effektiv genug? Und wie funktioniert sie überhaupt?
Im Prinzip setzt die Kommission auf die Eigenverantwortung der Spielbanken. So gibt Maria Saraceni, Sprecherin der ESBK, an: Um eine Konzession zu erhalten, haben die Casinos «ein Sozialkonzept vorlegen müssen, welches darlegt, mit welchen Massnahmen sie den sozial schädlichen Auswirkungen des Spiels vorbeugen oder diese beheben wollen.»
Ausgestaltung des Konzepts obliegt Casinos
Wie genau das Sozialkonzept indes ausgestaltet ist, liege zu einem grossen Teil «im Ermessen der Spielbanken.» Die Voraussetzung hierbei: Die Spielbanken müssen Massnahmen ergreifen bezüglich Spielsuchtprävention, Früherkennung von spielsuchtgefährdeten Spielern, Aus- und Weiterbildung des für den Sozialschutz verantwortlichen Spielbanken-Personals. Sie können dabei mit Suchtpräventionsstellen,Therapieeinrichtungen und Forschern zusammenarbeiten.
Eigenverantwortung wird den Casinos auch in Puncto Hausverboten abverlangt. Die Spielbanken selbst, so Saraceni, müssten überprüfen, ob ein Kriterium für eine Spielsperre vorliege. In ihrem Inhalt sind die Bedingungen derweil vorgegeben. Und auch eine landesweite Reichweite der Sperre schreibt der Bund vor. Spielbanken müssen demnach eine Person sperren,
- wenn sie überschuldet ist oder ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt
- wenn sie Spieleinsätze riskiert, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen und Vermögen stehen
- wenn sie den geordneten Spielbetrieb beeinträchtigt
Sollten die Casinos einen Gast zum Spiel zulassen, obwohl entsprechende Hinweise bestehen, müssen sie mit Sanktionen rechnen.
Alternativ spielt der Gesperrte im Ausland oder im Internet
Wenn die ergriffenen Massnahmen insgesamt auch als griffig erscheinen, sieht sich die ESBK doch mit zwei Problemen konfrontiert. Zu einen kann sie nicht verhindern, dass ein notorischer Spieler seiner Sucht im nahen Ausland frönt. Laut Saraceni handelt es sich bei Auslandsperren nämlich um «freiwillige Spielsperren», die die betreffende Person «bei den zuständigen Stellen im Ausland selbst beantragen muss.»
Zum anderen sind der Kommission in Sachen Online-Geldspielen bis zu einem gewissen Grad die Hände gebunden. Während deren Organisation in der Schweiz verboten sei, würden die Online-Spiele im Ausland häufig legal angeboten. Saraceni: «Falls in der Schweiz kein Anknüpfungspunkt besteht, können wir nicht dagegen vorgehen.»
Zielkonflikt der Spielbanken
Schliesslich sieht sich die ESBK noch mit einem dritten Problem, nämlich jenem des Zielkonflikts der Spielbanken, konfrontiert. Ihre an die Eigenverantwortung appellierende Haltung mag liberal und – angesichts des sowieso stattfindenden Glücksspiels im Ausland und Internet – pragmatisch erscheinen. In der konkreten Anwendung kann sie indes zahnlos wirken.
Dazu Thomas Reisch: Wenn die Casinos vom Staat gezwungen werden, sich der Spielsucht anzunehmen, sei das prinzipiell positiv. Auf der anderen Seite wollten Casinos Geld verdienen und hätten dementsprechend wenig Anreiz, Kundschaft zu verlieren. Er präzisiert: «Wenn derjenige (also die Spielbank, Anmerkung der Redaktion) der Spielsucht entgegenwirken muss, der am wenigsten Interesse hat, dass weniger Leute kommen, ist das ein Widerspruch in sich.»
Insofern würde sich Reisch ein Gesetz auf Bundesebene wünschen, «das konkrete einheitliche Vorgaben machte». In naher Zukunft wird sein Begehren indes nicht erfüllt werden. Zwar hat ein neues Geldspielgesetz die Phase der Vernehmlassung passiert und wird voraussichtlich 2018/1019 in Kraft treten. Doch auch in diesem erarbeiten jeweils die Casinos – und nicht der Bund – ein Sozialkonzept.
SRF 4 News, 8 Uhr; 26.07.2015