Eines ist für alle Gäste in der Sendung «Arena» klar: Die Schweizer Sozialhilfe steckt in der Krise. Während die einen die Grundbeträge für die Bezüger senken wollen, hoffen die anderen auf einen Finanzausgleich zwischen den Gemeinden. Aber von vorne:
Die Sozialversicherung liegt in der Schweiz in der Hoheit der Kantone. Diese können Richtlinien festlegen, die für die Gemeinden verbindlich sind. Eine nationale Regelung gibt es nicht. Jedoch halten sich alle Kantone an die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos).
Sozialrente statt Sozialhilfe
Die Finanzierung der Sozialhilfe läuft über die Gemeinden. In kleinen Gemeinden mit vielen Sozialhilfebezügern kann das Gemeindebudget überproportional stark belastet werden. Manche Kantone diskutieren daher über einen Finanzausgleich.
Dass es die Sozialhilfe in der Schweiz braucht, steht für die Diskussionsteilnehmer der «Arena» ausser Frage. Kritik üben sie vielmehr am Sozialmissbrauch. «Solche Fälle müssen verhindert werden», sagt etwa Caritas-Direktor Hugo Fasel. Bei der Caritas sehe er, dass viele Leute, die Sozialhilfe beanspruchen könnten, dies gar nicht tun würden – weil sie sich schämten. «Es braucht einen Ausgleich zwischen den Gemeinden, damit nicht eine Gemeinde ins Turnen kommt wegen eines Einzelfalls.»
Für «Weltwoche»-Journalist Alex Baur sind die Ansätze der Sozialhilfe zu hoch. Die Sozialhilfe sei längst nicht mehr das Auffangnetz, das es einmal gewesen sei. Auch der SVP-Nationalrat und Stadtpräsident von Rorschach (SG), Thomas Müller, wünscht sich tiefere Ansätze. Die Sozialhilfe sei vielmehr zu einer Sozialrente geworden. Deshalb seien so viele Missbräuche möglich.
Tiefe Löhne reichen nicht zum Leben
Die SP-Nationalrätin und Sozialvorsteherin der Gemeinde Wettingen (AG), Yvonne Feri, verteidigt das System: Man müsse zunächst schauen, weshalb die Ansätze hoch seien und so viele Leute Sozialhilfe bezögen. Die Arbeitslosenversicherung habe die Taggelder gekürzt. Auch die IV sei revidiert worden. «Die Leute landen viel schneller in der Sozialhilfe.»
Laut Yvonne Feri seien viele Menschen unverschuldet in die Notsituation geraten. «Menschen wie du und ich.» Dem widerspricht Alex Baur; über 45 Prozent der Sozialhilfebezüger seien Ausländer.
Hugo Fasel betont, dass sich die Schweiz die Ausländer für Arbeiten in den untersten Einkommenskategorien wünsche. Doch mit diesen tiefen Löhnen könnten viele ihre Familien nicht finanzieren. «Man müsste diesen Leuten einen Lohn zahlen, von dem sie existieren können.»
Auch Alex Baur glaubt, dass viele Familien mehr Sozialhilfe erhalten als Lohn. «Die Tarife sind viel zu hoch.» Zusätzlich gebe es noch Zulagen – etwa für die Kinderkrippe.
Kosten gerechter verteilen
Thomas Müller ergänzt, dass die Sozialhilfe für Grundbedarf, Wohnungskosten und eine medizinische Grundversorgung reichen müsse. Die Skos-Richtlinien würden sich an den niedrigsten 10 Prozent der Schweizer Einkommensskala orientieren – «wir haben aber keine 10 Prozent Arme in der Schweiz.» So komme man mit dem System von Zuschlägen auf 5000 bis 6000 Franken pro Monat, die eine Familie zur Verfügung habe – steuerfrei.
Yvonne Feri verteidigt die Zuschläge, vor allem für Arbeitslose auf Stellensuche: «Damit eine Person vermittelbar ist, braucht sie einen Kinderbetreuungsplatz.» Dieser Platz könne unmöglich aus dem Grundbedarf gedeckt werden.
Statt die Gelder für die Sozialhilfebezüger zu senken, schlägt Yvonne Feri vor, nach einem System zu suchen, welches die Kosten gerechter verteilt. Hier ist sich die SP-Frau mit ihrem SVP-Kollegen einig. Thomas Müller sagt, auch im Kanton St. Gallen, wo bisher alleine die Gemeinden die Sozialhilfekosten tragen, sei ein sozialdemografischer Lastenausgleich geplant.
Verzicht auf Auto, Reisen, Kinobesuche
Die Lösung wäre gemäss alt Nationalrätin und Skos-Vertreterin Therese Frösch (Grüne/BE) ein Rahmengesetz auf Bundesebene.
Sicher ist: Wer in der Schweiz Sozialhilfe bezieht und keinen Missbrauch betreibt, hat am Ende des Monats nicht viel Geld auf der hohen Kante. Worauf würden die «Arena»-Teilnehmer verzichten, gerieten sie selbst in die Notsituation? Auf sein Auto, sagt Thomas Müller. Auf das Reisen, erklärt Axel Baur. Hugo Fasel würde keine Zeitungen mehr lesen. Ein Zeitungsabo liege nicht drin, meint er. Und Yvonne Feri glaubt, sie müsste bei ihren Sozialkontakten zurückschrauben: Zoobesuche, Kino oder ein Essen im Restaurant wären dann Luxus.