Die Denkfabrik Avenir Suisse bezeichnet es selbst als eine Idee für übermorgen. Mit gutem Grund: Schliesslich versenkte die bürgerliche Mehrheit des Parlaments erst kürzlich die GSoA-Initiative zur Abschaffung der Militärdienstpflicht. Für die – ebenfalls bürgerlich geprägte – Denkfabrik ist das Thema trotzdem zu wichtig, als dass man nicht darüber nachdenken sollte.
«Wir sehen, dass die Idee der Milizarmee zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert», sagt Avenir-Suisse-Projektleiter Patrick Schellenbauer. Deswegen schlägt Avenir Suisse vor, die Wehrpflicht nicht einfach abzuschaffen, sondern durch eine allgemeine Dienstpflicht zu ersetzen.
Bürgerdienst zwischen 20 und 45
Frauen und Männer sollen zwischen dem 20. und 45. Altersjahr einen Bürgerdienst leisten – in der Armee, wahlweise aber auch im Zivildienst wie in der Pflege. So könnte das in der Schweiz hoch gehaltene Milizprinzip - also, dass die Bürger den Staat ausmachen und nicht umgekehrt – in ein neues Zeitalter gerettet werden, ist Schellenbauer überzeugt.
Stellt sich die Frage, wo berufstätige Frauen und Männer heutzutage noch die Zeit hernehmen, neben Beruf und Familie auch noch Dienst zu leisten? Avenir Suisse denkt deshalb an kurze, dafür häufige Einsätze. Aber wo?
Nicht bei uns: Pflegefachleute winkten schon ab, als vor einem Jahr die Dienstpflicht für Frauen diskutiert wurde. Es gäbe gar keinen Bedarf an Hilfspflegern, sondern vielmehr an qualifiziertem Personal, lautete der Tenor. Die Einsatzmöglichkeiten seien tatsächlich noch zu studieren, weicht Schellenbauer aus.
«Lächerlich»
Einen zivilen Dienst sollen auch niedergelassene Ausländer leisten, schlägt die Denkfabrik weiter vor. Das verbessere ihre Integration und sei fair gegenüber den Schweizern. Kritik folgt auf dem Fusse. «Wer so etwas vorschlägt, macht sich lächerlich», empört sich SVP-Sicherheitspolitiker Roland Bohrer.
Auch vom linken politischen Spektrum werden die Vorschläge abgelehnt. Die Armee habe heute schon riesige Überbestände, da dürfe die Dienstpflicht nicht ausgeweitet werden, sagt SP-Nationalrätin Evi Allemann: «Wenn wir die Rekrutierung auf weitere Bevölkerungsgruppen ausweiten, verschärft sich die Problematik.»
Versteckte Armeeabschaffung?
Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht wurde im Bundeshaus schon früher diskutiert und abgelehnt. Sie ausgerechnet jetzt aufzuwärmen, sei falsch. Das helfe nur der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA), welche die Wehrpflicht grundsätzlich abschaffen wolle, fürchtet Jakob Büchler von der CVP. Die Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht sei bereits ein Teil der Armeeabschaffung, sagt er.
Das sieht der Grüne Nationalrat Geri Müller anders. Er unterstützt die Initiative der GSoA zwar und die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ist von einzelnen Grünen befürwortet worden. Doch die Mehrheit lehnt sie ab. Denn sie sei nicht durchsetzbar.
«Zwangsarbeit»
«Das erinnert an Zwangsarbeit. Diese ist verboten worden», sagt Müller. Sich über dieses Verbot hinwegzusetzen, sei mit den Errungenschaften einer liberalen Gesellschaft nicht vereinbar.
Bereits heute würde quasi gratis Freiwilligenarbeit in Milliardenhöhe geleistet, mehrheitlich von Frauen. Frauen jetzt zusätzlich einzubinden, sei seltsam. Sie würden es ja schon machen, betont Geri Müller.
Benachteiligung gegenüber Frauen
Allemann ergänzt: Wenn Dienstpflichtige in der Pflege oder in Hilfsdiensten eingesetzt würden, würde niederschwellige Arbeit konkurrenziert. «Gerade für Frauen mit einer geringen Bildung wäre es viel schwieriger, ein Potenzial auf dem Arbeitsmarkt zu finden», sagt Allemann.
Avenir Suisse argumentiert damit, dass die allgemeine Dienstpflicht das Milizsystem stärkt - aber für SVP-Sicherheitspolitiker Bohrer ist es das Gegenteil: Eine Aushöhlung des Prinzips der Milizarmee. «Es schwächt die Wehrhaftigkeit unseres Landes», sagt Bohrer.
So lautet der Grundtenor aus dem Bundeshaus zu der Idee von Avenir Suisse: Denken sei erlaubt. Die Sache vollständig durchdenken sei aber besser.