Nicht nur in den Städten, auch im Mittelland breite sich die Wohnungsnot für ärmere Menschen immer weiter aus, sagt Bettina Fredrich von Caritas Schweiz. Das habe sie in zahlreichen Fällen beobachtet. «Es ging soweit, dass Verwaltungen aufgefordert wurden, preisgünstigen Wohnraum abzureissen und zu erneuern, damit keine Sozialhilfeempfänger in bestimmte Gemeinden ziehen.»
Das aber löse das Problem nicht, so Fredrich. Im Gegenteil: «Diese Leute müssen, sollen und dürfen irgendwo wohnen. Wir müssen das Problem angehen und nicht einfach nur Symptome bekämpfen.»
Rorschach wehrt sich gegen Vorwurf
Als negatives Beispiel nennt Caritas explizit die Stadt Rorschach am Bodensee. Dort gibt es viel alten, günstigen Wohnraum. Das ist für ärmere Menschen attraktiv. Es gehe nicht an, dass sich der Stadtpräsident über jedes alte Haus freue, das abgerissen wird – in der Hoffnung, die armen Leute würden so schnell wieder weiterziehen.
Stadtpräsident und SVP-Nationalrat Thomas Müller findet den Vorwurf haltlos. Rorschach bezahle für Armut, die «von auswärts» komme, sagt er. «Da kann es uns niemand übel nehmen, wenn wir uns dagegen wehren.» Denn die Sozialhilfekosten der Stadt beliefen sich unterdessen auf zwölf Prozent des Ertrages der Steuern der natürlichen Personen – deutlich mehr als der kantonale Durchschnitt. Diese Kosten müssten erst gerechter auf alle Gemeinden verteilt werden, bevor man über die Förderung von günstigem Wohnraum für Arme spreche.
Hilfswerk: Auch Kantone müssen handeln
Caritas nimmt aber auch die Kantone in die Pflicht. «Nur ein einziger Kanton in der Schweiz verfügt wirklich über eine Strategie, die Wohnen und Armut konsequent verbindet», sagt Fredrich von Caritas. Bei allen anderen Kantonen bestehe Handlungsbedarf.
Gemeint ist Basel Stadt mit seinem neuen Wohnraumfördergesetz. Was Caritas allerdings nicht sagt ist, dass es derzeit nirgends in der Schweiz weniger freie Wohnungen gibt als in Basel. Der Pharmastandort boomt, günstige Wohnungen gibt es kaum mehr auf dem Markt. Die Strategie bleibt vorderhand also ein Papiertiger.
Behörden versprechen Besserung
Aber das Problem ist erkannt, heisst es jedenfalls bei der Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren. Man beteilige sich an einer Studie im Rahmen des nationalen Armutsprogramms, sagt Geschäftsführerin Margrith Hanselmann. «Die Studie beschäftigt sich mit der Frage, was angemessener Wohnraum ist. Sie will zum Beispiel klären, wann eine Unterversorgung vorliegt.»
Auch der Gemeindeverband beschäftigt sich mit dem Thema. Aber, so die Einschätzung der Behörden, man stehe erst am Anfang.