Dank Gotthard- und Ceneri-Basistunnel verkürzt sich die Reisezeit von Zürich nach Lugano ab 2020 um eine Stunde. Dem Tessin eröffnet dies in touristischer und wirtschaftlicher Hinsicht neue Möglichkeiten. Allerdings rückt gleichzeitig auch die norditalienische Metropole Mailand eine Stunde näher an Zürich heran. Das stellt das Tessin vor Herausforderungen, wie Handelskammer-Direktor Luca Albertoni im Interview ausführt.
SRF News: im Sommer öffnet der Gotthard-Basistunnel, in drei Jahren dann der Ceneri. Welche wirtschaftlichen Folgen versprechen Sie sich?
Luca Albertoni: Die genauen wirtschaftlichen Folgen sind heute nur schwierig abzuschätzen. Ich gehe aber davon aus, dass jede Verbesserung der Verbindungen in den Norden der Schweiz und nach Europa für die Wirtschaft wichtig ist. Insofern verspreche ich mir positive Auswirkungen von Neat und Ceneri-Tunnel.
Wer wird besonders profitieren können?
Neben dem Tourismus wird die ganze Tessiner Wirtschaft profitieren. Wir haben sehr enge Beziehungen zum Wirtschaftsstandort Zürich, aber auch zur ganzen Deutschschweiz.
Die Zugfahrt von Zürich nach Lugano wird ab 2020 eine Stunde weniger lang dauern als heute. Ist der Tessiner Tourismus vorbereitet auf diese Chance?
Ich habe heute noch einige Zweifel, denn es gibt sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten, was die koordinierte Arbeit der Tourismus-Akteure im Tessin anbelangt. Hotels, Restaurants und Tourismus-Behörden müssen künftig besser zusammenarbeiten, als sie das heute tun. Das Ziel müssen koordinierte Tourismus-Angebote sein, welche die Deutschschweizer und die Deutschen dazu animieren, im Tessin zu bleiben und nicht gleich nach Mailand weiterzureisen.
Wie gross ist denn Ihre Angst, dass Reisende nur aus dem Zugfenster winken und einfach nach Italien durchreisen?
Angst ist übertrieben. Doch es ist ein konkretes Risiko, welches man mit der neuen Infrastruktur eingeht. Denn auch die Distanz zwischen Zürich und Mailand wird kleiner, nicht nur die ins Tessin. Und es ist eine Tatsache, dass Mailand in vieler Hinsicht eine attraktive Stadt ist. Dem sollte das Tessin durch interessante Tourismus-Angebote entgegenwirken. Im Wettbewerb mit Mailand besteht für das Tessin durchaus eine Chance.
Mailand ist eine attraktive Stadt – dem muss sich das Tessin stellen.
Was können Sie von der Tessiner Handelskammer tun, damit im Tourismus besser zusammengearbeitet wird?
Wir versuchen, das Netzwerk zu verbessern, damit die Tessiner Firmen besser zusammenarbeiten können. Wichtig ist ein koordiniertes Auftreten gegen aussen. Ausserdem müssen die einzelnen Tourismus-Branchen wie Restaurants oder Hotels die Chance packen, gute Angebote bringen und sich untereinander koordinieren.
Künftig sind nicht nur Gäste schneller im Tessin, sondern die Tessiner auch schneller in der Deutschschweiz. Könnte das auch negative Folgen für Ihren Kanton haben?
Ich sehe das eher umgekehrt. Das Tessin ist sehr abhängig von der Deutschschweiz. Für viele Firmen ist etwa Zürich der Referenzpunkt. Insofern kann die bessere Verbindung zur Deutschschweiz für die Tessiner Wirtschaft nur förderlich sein. Künftig ist es auch möglich, im Tessin zu leben, aber nach Zürich zur Arbeit zu pendeln. Das ist nicht a priori schlecht fürs Tessin.
Mit dem Ceneri-Tunnel werden die Reisezeiten auch innerhalb des Kantons teilweise halbiert. Wird das Tessin näher zusammenrücken?
Dieser Aspekt ist sehr wichtig. Die Kluft zwischen Locarno und Lugano ist recht gross. Die Verkürzung der Reisezeit zwischen den beiden Städten wird sie einander nicht nur psychologisch näherbringen, sie wird auch der Wirtschaft Vorteile bringen. Denn heute ist es wegen des vielen Verkehrs recht umständlich, von Lugano nach Locarno und umgekehrt zu fahren. Das Zusammenrücken dank dem Ceneri-Tunnel wird für die Mentalität des Kantons förderlich sein.
Das Interview führte Tina Herren.