SRF: Der Papst hat die westliche Welt aufgerufen, dem Morden der IS-Terroristen Einhalt zu gebieten. Was meint er damit?
Kardinal Kurt Koch: Papst Franziskus hat gesagt, dass man solchen ungerechten Angriffen Einhalt gebieten müsse. Er hat aber präzisiert: «Ich sage nicht: bombardieren, Krieg führen». Denn die Mittel, mit denen man Einhalt gebieten muss, müssen sorgfältig abgewogen werden. Darüber kann in den Augen des Papstes nicht eine einzelne Nation urteilen. Die Frage muss vielmehr von den Vereinten Nationen erörtert werden.
Schildern Sie uns die Dimension der Christenverfolgung.
Im globalen Kontext sind etwa 80 Prozent aller Menschen, die in der heutigen Welt aus Glaubensgründen verfolgt werden, Christen. Es gibt heute mehr Christenverfolgungen als in den ersten grausamen Jahrhunderten. Im Irak hat die Christenverfolgung unvorstellbare Ausmasse angenommen. Es werden dort allerdings nicht nur Christen verfolgt, sondern auch Jesiden und Muslime. Beinahe alle Minderheiten im Irak und Syrien werden bedroht und verfolgt.
Was unternimmt die Kirche, um das Abschlachten zu stoppen?
Das Erste, was Christen tun können, ist, für die Verfolgten zu beten und die Verbrechen öffentlich anzuklagen. Der Kirche stehen zudem diplomatische Wege zur Verfügung, um an die politisch Verantwortlichen zu appellieren. Papst Franziskus hat Kardinal Filoni, den ehemaligen Nuntius im Irak, in die Krisenregion entsandt, um sich persönlich über das Elend zu informieren.
Wie wirken sich die Gräuel im Irak auf den interreligiösen Dialog aus?
Der «Islamische Staat» und der Islam sind zu unterscheiden. Der «IS» ist eine grausame Pervertierung von Religion. Der Terror in Syrien und Irak kann deshalb den interreligiösen Dialog nicht in Frage stellen, sondern fordert ihn erst recht heraus. Von den Repräsentanten des Islam und von islamischen Staaten muss allerdings erwartet werden, dass sie sich vom Terror des IS entschieden und öffentlich distanzieren.
Kommt der Tag, an dem die Religionen zur friedlichen Koexistenz finden?
Je mehr die Menschenrechte und vor allem das grundsätzliche Menschenrecht auf Religionsfreiheit beachtet werden und Menschen verschiedener Religionen lernen, miteinander zusammen zu leben, desto eher kann dieser Tag kommen. Die unabdingbare Voraussetzung besteht darin, dass Religion nicht weiterhin privatisiert wird, sondern ein öffentliches Thema ist.