Kartoffel, Äpfel und Kirschen – vor hundert Jahren war die Schweiz das obstreichste Land der Welt. Das jedenfalls behaupteten die Werbefilme der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV). Die Botschaft war simpel: Die Schweizer sollten gesundes Obst essen, anstatt aus den Früchten und Beeren Schnaps zu brennen.
Für dieses Anliegen setzte die Alkoholverwaltung auf das damals modernste Kommunikationsmittel. Die Filme erreichten ein grosses Publikum und wurden zum Beispiel in Kinos vor den Spielfilmen gezeigt, sagt Peter Moser, Leiter des Archivs für Agrargeschichte.
Daneben organisierte die EAV unter anderem Kochveranstaltungen mit, die zeigten, wie vielfältig man Kartoffeln zubereiten kann.
Alkohol zum Frühstück
Ziel war die Bekämpfung der «Schnapspest». So nannten die bürgerlichen Politiker den Alkoholismus in der ländlichen Unterschicht und bei Industriearbeitern. Seit Ende des 19. Jahrhunderts war dieser weit verbreitet. Oftmals tranken Männer, Frauen und sogar Kinder schon vor Arbeits- oder Schulbeginn Alkohol – als Nahrungsersatz und Betäubungsmittel.
Lange versuchte die Politik, den Alkoholismus mit Repression und Verboten zu bekämpfen. Erst in den 1920er Jahren fand ein Umdenken statt. «Es ist der Alkoholverwaltung gelungen, von diesem Feinddenken wegzukommen und etwas «Positives» in den Vordergrund zu rücken, nämlich den Konsum von gesundem Obst und Kartoffeln», erklärt Historiker und Buchautor Peter Moser.
140 Jahre Alkoholpolitik - die wichtigsten Abstimmungen
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Bild 1 von 6. Absinthverbot 1908. Das Absinthverbot ist eine der wenigen Ausnahmen, in denen sich das Stimmvolk für schärfere Alkoholgesetze aussprach. Die Befürworter hatten zahlreiche Verbrechen aufgeführt, die dem Konsum von Absinth zugeschrieben wurden. 2005 wurde das Verbot aufgehoben. Bildquelle: Eidgenössische Zollverwaltung.
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Bild 2 von 6. Branntweinverbot 1929. Die Initiative wollte Kantonen und Gemeinden das Recht einräumen, autonom ein Branntweinverbot zu erlassen, ähnlich wie zu dieser Zeit die Prohibition-Gesetze in den USA. Die Initiative wurde abgelehnt. Bildquelle: Eidgenössische Alkoholverwaltung.
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Bild 3 von 6. Alkoholvorlage 1930. Gesund und stark mache die neue Alkoholgesetzgebung. Diese Wahlplakate überzeugten das Stimmvolk. Die Revision des Alkoholartikels wurde angenommen. Bildquelle: Eidgenössische Alkoholverwaltung.
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Bild 4 von 6. Reval-Initiative 1941. Die Reval-Initiative wollte den inländischen Tafelobstbau fördern und den Import reduzieren. Zudem sollte der Import von ausländischen Spirituosen wie Cognac oder Rum mit dem Export von einheimischen Schnaps kompensiert werden. Das Volk sagte Nein. Bildquelle: Eidgenössische Alkoholverwaltung.
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Bild 5 von 6. Guttempler-Initiative 1979. Jegliche Werbung für Alkohol oder Tabak sollte in der Bundesverfassung verboten werden. Das verlangten die Guttempler, eine internationale Organisation, die sich der freiwilligen Enthaltsamkeit jeglicher Drogen verpflichtet. Die Initiative wurde klar abgelehnt. Bildquelle: Eidgenössische Alkoholverwaltung.
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Bild 6 von 6. Zwillingsinitiative 1993. Erneut sollte ein Werbeverbot für Alkohol- und Tabakwerbung in der Bundesverfassung festgeschrieben werden. Da über beide Suchtmittel gleichzeitig abstimmt wurde, entstand der Name Zwillingsinitiative. Auch dieses Mal wurde das Anliegen abgelehnt. Bildquelle: Eidgenössische Alkoholverwaltung.
Subventionierte Äpfel
Es blieb aber nicht nur bei Werbung für schöne und gesunde Früchte. Mostereien pasteurisierten auch alkoholfreien Apfelsaft und kochten Konzentrat ein (z.B. Birnendicksaft «Birnel»). Vor allem aber subventionierte der Staat den Transport von Frischobst und verbilligte die Früchte für die arme Bevölkerung.
Das zeigte Wirkung. Peter Moser bezeichnet die Massnahmen als «Erfolgsstory». Allerdings ist dafür auch der soziale und demografische Wandel verantwortlich. Auf dem Land gab es immer weniger arme Taglöhner und Knechte, in den Städten stieg das Industrieproletariat in die Mittelschicht auf.
Wodka statt «Brönnts»
Das Elendstrinken wandelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Wohlstandstrinken. In diesen Schichten waren Wodka, Whisky und Grappa beliebter als das einheimische «Brönnts» (Gebranntes). Die Alkoholverwaltung versuchte, den steigenden Import zu begrenzen. 1973 erhöhte der Bundesrat die Einfuhrsteuern gleich um 45 Prozent.
Das veranlasste einige besorgte Bürger zu regelrechten Hamsterkäufen. Laut Peter Moser waren das aber Ausnahmeerscheinungen. Alkohol blieb trotz dieser Erhöhung für den Grossteil der Bevölkerung bezahlbar.