In Marrakesch findet derzeit die Weltklimakonferenz statt. Und auch die Schweiz hat Interesse daran, dass dem zweiwöchigen Sitzungsmarathon konkrete Taten folgen. Denn hierzulande steigt die Temperatur überdurchschnittlich – das ist allerdings nur eine der dramatischen Veränderungen, die auch unser Land betreffen.
Thomas Stocker, Professor für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern, ist einer der 70 Forscher, die sich in einem neuen Bericht mit den Folgen des Klimawandels auf die Schweiz auseinandergesetzt hat. Er sagt, was zu tun ist.
SRF News: Wie sollte die Schweiz auf diese Veränderungen reagieren?
Thomas Stocker: Zwei Dinge müssen geschehen. Erstens müssen wir verhindern, dass der Klimawandel unverändert weitergeht. Das ist nur im internationalen Verbund möglich, aber die Schweiz spielt hier eine Führungsrolle als hochindustrialisiertes Land mit einer ausgezeichneten Entwicklungs- und Forschungsbasis. Die Schweiz muss hier eine Führungsrolle einnehmen. Zweitens müssen wir uns anpassen. Wir haben uns zwar bereits an den fortschreitenden Klimawandel angepasst – in der Schweiz haben wir bereits eine Erwärmung von 2 Grad Celsius seit 1864 festgestellt. Aber diese Anpassung steht in keinem Vergleich zu der Anpassung, die noch notwendig sein wird.
Zum Beispiel wird im Bericht aufgezeigt, dass die Waldgrenze steigen wird, die Gletscher ganz abschmelzen werden. Welche Folgen hat das für den Alpenraum?
Ich denke, das geht ziemlich tief in die Seele der Schweizerin und des Schweizers. Wir alle kennen und lieben das Gesicht der Schweiz, die einen Jahresgang hat. Im Sommer können wir im Tessin an der Promenade flanieren; nach zwei, drei Stunden können wir aber wieder an einem wunderschönen Gletscher sein und diese Eiswelt bestaunen. Diese Momente werden seltener, weil sich die Schneedecke und Gletscher massiv zurückziehen. Die Jahreszeiten akzentuieren sich. Im Sommer werden Hitzewellen viel häufiger auftreten und vor allem in den mittleren und hohen Lagen wird der Winter ganz anders aussehen.
Es ist das erste Mal, dass die Menschheit zur Einsicht gelangt ist, dass eine industrielle Revolution notwendig ist.
Viele dieser Aspekte sind ja in Grundzügen bekannt. Trotzdem ist es ein grosser Schritt, bis der Einzelne sein Verhalten anpasst. WIe soll das geschehen?
Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die neben der Information durch die Wissenschaft auch durch die Politik wahrgenommen werden muss. Sie muss diese Fragen aufnehmen und in ihren Programmen und Zielen festhalten; und die Bevölkerung muss dies auch einfordern. Es handelt sich um eine für die kommenden Generationen zentrale Frage.
Der CO2-Verbrauch des Einzelnen müsste grob – je nachdem, ob man nur unsere Emissionen im Inland oder auch im Ausland anschaut – durch 6 bzw. 13 geteilt werden. Ist das überhaupt realistisch?
Es ist in der Tat realistisch. Kein Naturgesetz besagt, dass wir unsere Energien aus fossilen Energieträgern beziehen müssen. Aber die Aufgabe ist gross. Sie ist mit einer industriellen Revolution zu vergleichen, tatsächlich sprecher wir hier von einer vierten industriellen Revolution – auf die Mechanisierung, die Elektrifizierung und die Digitalisierung folgt jetzt die Dekarbonisierung. Jetzt brauchen wir die Köpfe und die Hände, um diese Revolution zu erfüllen. Wir müssen aber auch die Materialzyklen schliessen – ich spreche hier jeweils von der «Erneuerbarisierung». Wir sind auf einem Planeten, auf dem die Ressourcen endlich sind. Das muss in unser Handeln einfliessen.
Das Gespräch führte Klaus Ammann.