SRF News: Bedeutet das Abblitzen des Bundesrats bei der EU-Kommission, dass man vor einem Scherbenhaufen steht?
Sebastian Ramspeck: Nein, zumindest noch nicht. Das heutige Treffen hat einmal mehr gezeigt: Es war, es ist und bleibt sehr schwierig, einen Kompromiss zu finden. Denn die Schweiz und die EU wollen etwas ganz Unterschiedliches: Der Bundesrat will am Freizügigkeitsabkommen festhalten, aber eine neue Schutzklausel integrieren – und sie auch selber anrufen können. Die EU sagt dagegen: Wenn eine solche Schutzklausel angerufen wird, wollen wir das letzte Wort haben.
Jean-Claude Juncker hat an der Pressekonferenz von Fortschritten gesprochen. Was meint er damit?
Aus Schweizer Sicht besteht der Fortschritt lediglich darin, dass jetzt beide Seiten ungefähr vom gleichen reden: von einer Schutzklausel gestützt auf das bestehende Freizügigkeitsabkommen. Die Bedingungen, die Details, sind aber nach wie vor heftig umstritten. Und der Teufel steckt ja bekanntlich sehr oft im Detail.
Wie kann denn die EU reagieren, wenn die Schweiz trotzdem einseitig die Schutzklausel anrufen sollte, also die Zuwanderung begrenzen würde?
Kein noch so gut informierter Beobachter wagt hier in Brüssel diesbezüglich eine Prognose. Die Bandbreite ist gross: Die EU kann gar nicht reagieren; sie kann sofort alle Verträge der sogenannten Bilateralen I kündigen, etwa auch denjenigen über den Luftverkehr. Diese beiden Extremszenarien halte ich aber für eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher erscheint mir eine Reaktion irgendwo dazwischen. Einzelne Gegenmassnahmen, die durchaus schmerzhaft sein könnten. Zum Beispiel der Ausschluss der Schweizer Universitäten von allen Forschungs- und Austauschprogrammen der Europäischen Union.
Wie sieht der weitere Fahrplan nach dem heutigen Treffen aus?
Wie es so schön heisst: Die Gespräche gehen weiter und sollen intensiviert werden. Die Schweiz hofft, bis im Februar oder März eine gemeinsame Lösung auf dem Tisch zu haben. Dann will ja auch der Bundesrat über allfällige einseitige Massnahmen informieren. Bei der EU heisst es aber hinter vorgehaltener Hand ganz klar: Dieser Zeitplan erscheint angesichts der immer noch sehr grossen Differenzen doch eher unrealistisch.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.