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Baugespanne für eine Wohnüberbauung auf einer Wiese.
Legende: Unsere eigenen Ansprüche an Wohnfläche sind in den letzten Jahrzehnten stetig gewachsen. Keystone

Schweiz «Der Zersiedelung wird noch nicht Einhalt geboten»

Was ist zu tun, um die Zersiedelung zu stoppen und wertvolles Kulturland nicht zu verbauen? Diese Frage stellt sich in der ganzen Schweiz. Raumplanungsexperte Alain Griffel nimmt die politischen Akteure auf allen Ebenen in die Pflicht.

SRF News: Wie schätzen Sie die Situation ein?

Alain Griffel

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Griffel ist seit 2005 ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht an der Universität Zürich.

Alain Griffel: Die Zersiedelung nimmt täglich zu. Einhalt wurde dem noch nicht geboten. Positiv ist, dass die Stimmberechtigten 2013 einer grösseren Revision des Raumplanungsgesetzes zugestimmt haben, welche punktuelle Verbesserungen bringt. Der Fokus dieser Gesetzesrevision, die jetzt in den Kantonen umgesetzt werden muss, lag auf der Siedlungsentwicklung nach innen und wollte die weitere Ausdehnung der Siedlungen in die Breite stoppen und mehr innere Verdichtung anstreben. Das ist allerdings ein sehr anspruchsvolles Vorhaben. Das geht nicht von heute auf morgen und auch nicht überall, weil man auf gewachsene Siedlungsstrukturen oder Ortskerne Rücksicht nehmen muss. Es ist aber sicher der richtige Ansatz.

Es hapert in erster Linie daran, dass sehr handfeste finanzielle Interessen an jedem Quadratmeter Boden festgemacht sind.

Man hat das Gefühl, dass sich politisch etwas tut. Trotzdem zeichnen Sie ein düsteres Bild. Wo hapert es denn?

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Es hapert in erster Linie daran, dass sehr handfeste finanzielle Interessen an jedem Quadratmeter Boden festgemacht sind. Das heisst, es gibt Interessen, Land weiter einzuzonen, zu überbauen und zu vermieten. Diese handfesten Interessen sind in der Politik auf allen Ebenen sehr stark vertreten. Vor allem in den Gemeinden, die weiter wachsen wollen, aber auch in den Kantonen, die einerseits sich vom Bund in der Raumplanung nicht zu sehr dreinreden lassen wollen, andererseits den Gemeinden nicht zu viel dreinreden wollen. Auch auf Bundesebene gibt es immer wieder – nebst der positiven Gesetzesrevision – auch schlechte Beispiele, insbesondere betreffend dem Bauen ausserhalb der Bauzonen.

In den Städten gibt es so viele Single-Haushalte wie nie zuvor.

Mit Bauland lässt sich gutes Geld verdienen. Zudem geht man davon aus, dass die Bevölkerung weiter wächst. Wo sollen all diese Menschen leben?

Das Bevölkerungswachstum ist eher ein untergeordneter Treiber für die Zersiedelung. Jedoch sind unsere eigenen Ansprüche an Wohnfläche in den letzten Jahrzehnten gewaltig gewachsen. Hinzu kommt, dass es in den Städten so viele Single-Haushalte wie nie zuvor gibt. Jede Scheidung oder Trennung führt tendenziell zu einer Verdoppelung der notwendigen Anzahl Haushalte. Natürlich spielt das Bevölkerungswachstum auch eine Rolle, nicht aber eine vorrangige.

Wer ist in Zukunft am meisten gefordert? Jeder Einzelne, die Kantone, die Gemeinden oder der Bund?

Am meisten gefordert ist sicher die Politik. Auf allen Ebenen muss den Anliegen des Raumplanungsgesetzes nachgekommen werden. Es ist schon seit Jahrzehnten zu beobachten, dass von Seiten der Politik sofort Widerstände kommen. Beispielsweise sieht die Gesetzesrevision vor, dass zu grosse Bauzonen verkleinert werden müssten. Ich zweifle aber daran, ob in den nächsten Jahren auch nur ein einziger Quadratmeter zurückgezont wird. Es ist in erster Linie eine Frage des politischen Willens, mit diesen Anliegen wirklich ernst zu machen.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

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