Die Menschenrechtskonvention trat 1950 in Kraft: knapp 25 Jahre später ist ihr auch die Schweiz beigetreten. Zuerst hätten verfassungsrechtliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden müssen, sagt Frank Schürmann. Das Frauenstimmrecht wurde 1971 eingeführt und die gegen den Katholizismus gerichteten Ausnahmeartikel – das Jesuitenverbot und das Verbot neuer Klöster – wurden 1973 aufgehoben.
Danach war der Weg frei. Und rasch habe die Menschenrechtskonvention die schweizerische Rechtsordnung beeinflusst, sagt Schürmann, der die Schweiz am Menschenrechtsgerichtshof vertritt: «Die Konvention hat den Rechtsstaat in der Schweiz gestärkt.»
Recht auf Verfahren dank Menschenrechtskonvention
Konkret nennt der Experte das Recht auf ein faires Verfahren, eines Grundpfeilers des Menschenrechtskatalogs: In diesem Punkt habe Strassburg entscheidend zur Weiterentwicklung des Rechtsstaats in der Schweiz beigetragen. «Die in der Bundesverfassung festgeschriebene Rechtsweggarantie geht wesentlich auf die Rechtsprechung in Strassburg zurück», sagt Schürmann.
Die Urteile des Gerichtshofs müssen von den Staaten zwingend anerkannt und befolgt werden. Die Schweiz sei ihren Verpflichtungen bisher immer nachgekommen und habe die EMRK in Landesrecht und Verwaltungsalltag aufgenommen.
Fremde Richter oder notwendige Kontrolle?
Von den vielen Klagen, die an den Menschenrechts-Gerichtshof gelangen, werden – was die Schweiz betrifft – nur sehr wenige gutgeheissen: vergangenes Jahr nur gerade ein Prozent. Schafft es aber eine Klage bis vor Gericht, so hat sie gute Erfolgschancen. Das liege daran, dass die meisten Beschwerden vorher herausgefiltert würden, sagt der Schweizer Vertreter beim Gericht in Strassburg. «Was übrig bleibt sind Fälle, bei denen eine Verletzung ernsthaft in Frage kommt.»
In jüngster Zeit sehen sich die Strassburger Richter aber zunehmend der Kritik ausgesetzt: Sie gelten als zu aktivistisch und ihre Rechtsprechung als verpolitisiert. Der Gerichtshof habe die Tendenz, sich in Bereiche einzumischen, die der nationale Gesetzgeber zu regeln hat – so der Vorwurf.
Schürmann gegen Kündigung
Im Spannungsverhältnis von Landesrecht und Völkerrecht ist auch die von der SVP angekündigte Initiative zu sehen, die sich explizit gegen die Menschenrechtskonvention richtet. Frank Schürmann warnt: Der Blick von aussen sei wichtig, um festgefahrene Routinen neu beurteilen zu können.
Eine Kündigung der Menschenrechts-Konvention, wie das offenbar Bundesrat Maurer im Kollegium vorgeschlagen hat, hält der Jurist für denkbar unklug: «Das würde der Schweiz nicht gut anstehen.» Wegweisende Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs haben die Rechtsprechung in der Schweiz beeinflusst. Mit den Errungenschaften gilt es sorgfältig umzugehen.