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Schweiz «Die Schweiz muss sich voll einbringen»

Für die EU ist der bilaterale Weg mit der Schweiz am Ende. Der Europarechtler Thomas Cottier sagt, was das für die Schweiz bedeutet und wie es weitergehen könnte.

Der EU-Rat will den bilateralen Weg mit der Schweiz nicht weitergehen. Erstaunt Sie dieses deutliche Nein?

Thomas Cottier: Die Antwort hat mich nicht wirklich erstaunt. Sie liegt auf einer Linie mit der Politik, die sich bereits seit mehreren Jahren abzeichnet. Der Rat macht deutlicher als vorher klar, dass die Art und Weise, wie der Bundesrat das Problem lösen möchte, nicht zielführend ist.

Europarechtler Thomas Cottier.
Legende: «Der bilaterale Weg und die Andockung an den EFTA-Pfeiler widersprechen sich nicht»: Europarechtler Thomas Cottier. zvg

Ist das eine Schlappe für die Schweizer Aussenpolitik?

Man kann es nehmen, wie man will. Der Bundesrat hat mit seinen Vorschlägen versucht, die Diskussion in Gang zu bringen. Man kann aufgrund dieser Ratsantwort die Diskussion weiterführen. Aber die Schweiz muss substanziell über die Bücher. Sie muss ihre bisherigen Vorstellungen überdenken, die bilateralen Verträge ohne wesentliche institutionelle Absicherung weiterzuführen.

In der Antwort ist insbesondere von einem Internationalen Mechanismus die Rede, der überwachen soll, wie das EU-Recht angewandt wird. Auch bei Streitfragen müsste es zu einer internationalen Lösung kommen. Woran denkt dabei der EU-Rat?

Dem EU-Rat schwebt hier ein System vor, wie wir es im Rahmen des EWR-Vertrags kennen. Der EFTA-Pfeiler ist für die Überwachung des EWR-Vertrags seitens seiner Mitglieder verantwortlich. Und der EFTA-Gerichtshof ist bei Streitigkeiten zuständig. Im Unterschied dazu sind die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof für die Umsetzung der bilateralen Abkommen innerhalb der EU zuständig. 

Die Schweizer Bevölkerung möchte dem EWR derzeit nicht beitreten. Gibt es denn andere Andockungsmöglichkeiten an eine solche internationale Lösung?

Man muss zwischen dem EWR-Vertrag mit all seinen materiellen Bestimmungen und seinem institutionellen Gerüst unterscheiden. Die Bestimmungen sind nicht identisch mit denjenigen, der heutigen bilateralen Verträge. Sie überschneiden sich zu einem grossen Teil, aber unterscheiden sich bezüglich Landwirtschaft und Dienstleistungen. Der EWR-Vertrag hat ein institutionelles Gerüst mit der Überwachungsbehörde und dem ETFA-Gerichtshof. Dieses kann man für die bestehenden und künftigen Verträge nutzbar machen.

Einige Juristen argumentieren, dass es nichts bringe, sich dem EFTA-Gerichtshof zu unterwerfen. Denn dort würden nur Streitigkeiten unter den EFTA-Mitgliedsstaaten gelöst, nicht aber Probleme und Streitigkeiten mit der EU selbst.

Wenn ein Streit zwischen der EU und einem Mitgliedsstaat besteht, dann motiviert die Kommission die EFTA-Überwachungsbehörde, eine Klage gegen das EFTA-Land einzureichen. Es gibt keine direkten Klagemöglichkeiten der Kommission. Aber es gibt indirekte Möglichkeiten, Streitfragen vor ein Gericht zu bringen. Das ist im Fall Norwegens passiert.

Audio
«Die Schweiz muss über die Bücher», Europarechtler Thomas Cottier
aus SRF 4 News aktuell vom 20.12.2012.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 12 Sekunden.

Wäre es nicht gescheiter für die Schweiz, eine internationale Streitschlichtungsstelle zu haben? Im Fall Ghadhafi hat man beispielsweise einen Schweizer sowie einen libyschen Richter und einen unabhängigen Dritten genommen.

Eine Ad-hoc-Schiedsgerichtsbarkeit wie im Völkerrecht würde der EU nicht genügen.

Und eine institutionalisierte, internationale Streitschlichtungsstelle?

Man muss auch die Interessen der EU im Auge behalten. Die EU hat kein Interesse, mit anderen Ländern unterschiedliche Lösungen zu entwerfen. Die EU schaut sehr genau, was sie mit der Schweiz macht, um keine Präjudizen zu schaffen im Hinblick auf mögliche, durch England vorangetriebene  Auflösungserscheinungen. Die EU erachtet eine Andockung an den EFTA-Pfeiler als sinnvoll. Sie ist nicht daran interessiert, eigenständige Ad-hoc-Lösungen mit der Schweiz zu entwickeln.

Die offizielle Schweiz spricht aber immer vom bilateralen Weg. Diese EFTA- und EWR-Leitlösung käme für sie nicht infrage. Glauben Sie diese Aussage könnte morgen schon ganz anders lauten?

Der wesentliche Punkt ist, dass sich der bilaterale Weg der Schweiz und die Andockung an den EFTA-Pfeiler nicht widersprechen. Man muss das klar auseinanderhalten. Wir können weiterhin bilaterale Verträge haben, einführen und darüber abstimmen. Gleichzeitig können wir die bestehende Überwachung und Streitbeilegung nutzen. Das ist kein Widerspruch.

In 15 Jahren: Glauben Sie, die Schweiz wird einen Weg wählen ähnlich dem bilateralen mit einer Annäherung an den EWR und einer Nutzung der EFTA-Institutionen? 

Die ganze Konstruktion des EWR und des ETFA-Überwachungspfeilers ist eine Übergangslösung, weil sie keine Mitbestimmung gewährleistet. Für die Schweiz kann langfristig nur eine Lösung infrage kommen, bei der sie volle Mitbestimmung hat und in der sie ihre demokratischen Rechte einbringen kann. Und das wird nur der Beitritt sein.

Ich gehe davon aus, dass sich in 15 Jahren die geopolitischen Verhältnisse verändert haben werden. Die USA werden sich von Europa abkehren und zu Asien wenden. Der Druck auf Europa wird es zusammenschweissen. Er wird es für die Schweiz erforderlich machen, sich voll einzubringen. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch um ihre Reputation und Stellung in Europa zu festigen.

(prus)

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