SRF News: Wie ist der Rückgang der Organspendefreudigkeit zu erklären?
Franz Immer: Die Spenderzahlen sind traditionell hohen Schwankungen unterworfen. Ich denke, dass wir in einem Wellental mit tiefen Zahlen sind. Wir haben von Notfall- und Intensivstationen keine anderslautenden Rückmeldungen erhalten.
Sie selbst sprachen im Januar in Interviews noch von einer Trendwende. Diese lässt weiter auf sich warten. Woran mangelt es denn am meisten?
Ich glaube durchaus immer noch an die Trendwende. Wir stellen fest, dass die Strukturen und Abläufe in den Spitälern von Tag zu Tag besser werden. Sie werden professionalisiert. Das Hauptproblem ist, dass in über der Hälfte der Gespräche mit Angehörigen der Wunsch des Verstorbenen nicht bekannt ist. Ein stellvertretendes Ja zur Organspende fällt sehr schwer, wenn man zeitlebens nie darüber diskutiert hat.
Das Hauptproblem ist, dass in über der Hälfte der Gespräche mit Angehörigen der Wunsch des Verstorbenen nicht bekannt ist.
Und wie wollen Sie das ändern?
Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Sterben ist ein Thema, das wir sehr oft und gerne von uns drängen, weil wir denken, es sei für später. Ich denke, es wird immer einen grossen Teil der Bevölkerung geben, der sich damit nicht auseinandersetzt. Deshalb kann diese Ablehnungsrate, die in der Schweiz aktuell bei 60 Prozent liegt, was sehr hoch ist, nur unwesentlich beeinflusst werden. Das sind Faktoren, die trotz den Prozessen in den Spitälern auf die Bevölkerung bezogen sind. Eine Änderung könnte letztendlich nur ein Systemwechsel bringen. Leute, die nicht spenden möchten, könnte man verbindlich in ein Register eintragen und sonst geht man davon aus, dass man prinzipiell bereit wäre. Das wäre die so genannte vermutete Zustimmungslösung. Das ist eine Lösung, die eigentlich alle Länder Europas ausser Deutschland kennen.
In der Schweiz muss der Spender immer noch aktiv erklären, dass er spenden will. Ist das alles nicht viel zu kompliziert, wenn es drauf ankommt?
Das heutige System zeigt, dass sich eben nur ein Teil der Bevölkerung entscheidet und den Entscheid den Angehörigen mitteilt, so dass diese wissen, was eigentlich der Wunsch des Verstorbenen gewesen wäre. Die vermutetete Zustimmungslösung ist eine Modalität, die – sollten die Zahlen tief bleiben – sicherlich wieder Gegenstand von politischen Diskussionen wird. Dort haben wir auch die Sicherheit, dass Menschen, die eben nicht spenden wollen, nicht spenden. Auch die Angehörigen werden in einem schwierigen Moment entlastet. Letztendlich ist der Wunsch des Verstorbenen das zentrale Argument. Der muss immer und bestmöglich respektiert werden.
Gleichzeitig gibt es immer mehr Leute, die auf eine Organspende warten. Die Zahl ist von 1430 auf fast 1500 gestiegen.
Das ist so, wir sind in einer schwierigen Situation. Die Warteliste ist noch nie so rasch angestiegen. Wir hatten noch nie so viele Menschen, die auf eine Chance gehofft haben auf der Warteliste, verloren. Das ist sehr betrüblich. Wir haben zurzeit drei Todesfälle pro Woche aufgrund des Organmangels. Organspende wird sehr positiv wahrgenommen, über 80 Prozent der Bevölkerung sind für die Organspende. Man könnte diesen Menschen auf der Warteliste helfen, darum ist es wichtig, dass man das Gespräch führt. Man muss seinen Entscheid den Angehörigen kommunizieren und gibt den Menschen auf der Warteliste damit die berechtigte Chance auf ein neues Leben und mehr Lebensqualität.
Wir haben zurzeit drei Todesfälle pro Woche aufgrund des Organmangels.
Wird die neue BAG-Kampagne etwas an der Situation ändern?
Ich glaube, die grossen Bemühungen, die das BAG nun macht, sind wesentlich, um das Thema Organspende in die Bevölkerung zurückzubringen. Die Kampagne kann helfen, dass Menschen sich entscheiden, nach dem Tod ihre Organe zu spenden. So können wir die Warteliste in den Griff kriegen.
Das Gespräch führte Lukas Schmutz.