Es erstaunt wenig: Die Kantone wollen sich selbst viel Spielraum geben. Jeder einzelne soll einen «Inländervorrang» einführen können. Und zwar immer dann, wenn die Zuwanderung aus der EU deutlich höher ist, als im EU-Durchschnitt, und wenn sich gleichzeitig Löhne oder Arbeitslosigkeit im betreffenden Kanton schlechter entwickelt haben als in anderen Kantonen.
Ein Inländervorrang auf kantonaler Ebene sei ein vielversprechender Weg, sagt Jean-Michel Cina, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen: «Für uns ist zentral, dass wir immer dafür eingestanden sind, dass der bilaterale Weg aufrechterhalten wird. Und mit diesem Modell, das wir vorschlagen, können wir eine Steuerungswirkung erzielen, ohne diesen bilateralen Weg zu gefährden.»
Hürden für schweizweiten Vorrang höher
Entworfen hat die Idee Michael Ambühl, der frühere Staatssekretär und heutige Professor für Verhandlungsführung. Sein Modell hätte klare Folgen, sagt er. Es würde die Zuwanderung senken. «Wir haben die Betroffenheit und das Potenzial der Regionen und der Branchen, in denen die Vorrangregelung eine Wirkung entfalten könnte, ausgerechnet.»
Konkret wären in den letzten fünf Jahren die Bedingungen stets in «mindestens drei Kantonen» erfüllt gewesen. Genf, das Tessin und die Waadt etwa hätten fast immer einen Inländervorrang einführen können, sagt Ambühl. Sein Modell sieht auch einen schweizweiten Vorrang für Einheimische vor. Hier wären aber die Hürden höher.
Die Zuwanderung müsste noch höher sein und der Vorrang wäre auf einzelne Branchen beschränkt. Fürs Baugewerbe aber etwa wären laut Ambühl in den letzten Jahren die Bedingungen für einen solchen nationalen Inländervorrang erfüllt gewesen. Soweit die Theorie. Der Vorschlag der Kantone dürfte im Bundeshaus auf offene Ohren stossen: FDP und CVP wälzen ähnliche Ideen.
Initiative verlangt zusätzlich Plafonierung
Allerdings gibt es zwei grosse Probleme: Die Masseneinwanderungsinitiative verlangt zusätzlich zum Vorrang für Einheimische auch «Höchstzahlen und Kontingente» – also eine zahlenmässige Begrenzung der Einwanderung. Die Kantone wollen darauf verzichten. Das ist heikel.
Das zweite Problem wiegt mindestens so schwer: EU-Vertreter haben bislang stets Nein gesagt zur Idee eines Inländervorrangs. Und bei seinem Besuch in der Schweiz am vergangenen am Montag hat Italiens Aussenminister offenbar explizit Widerstand gegen einen kantonalen Inländervorrang angekündigt.
Lösung vor Junckers Besuch im September?
Weshalb sollte die EU nun auf einmal doch Ja sagen? Kantonsvertreter Cina vertraut auf eine Verhandlungslösung. «Letztlich muss sich auch die EU die Frage stellen, ob sie am bilateralen Weg mit der Schweiz festhalten will. Es ist ein Geben und Nehmen.» Im Hintergrund laufen die Gespräche zwischen der Schweiz und der EU seit längerem. Am 19. September kommt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in die Schweiz.
Die Erwartungen sind hoch, dass bis dann eine Lösung gefunden ist. Im Bundeshaus fallen nächste Woche bereits die ersten Vorentscheide: Die zuständige Parlamentskommission über ihren Umsetzungsvorschlag.