In Brüssel tagen am Montag die EU-Innen- und Justizminister. Sie diskutieren die Vorschläge der EU-Kommission, wie das Dublin-Abkommen weiterzuentwickeln ist, um mit der aktuellen und mit künftigen Flüchtlingskrisen fertig zu werden. Die zentrale Idee ist ein Vorschlag zur Einführung eines verbindlichen Verteilschlüssels.
Die wichtigen Fragen
- 1. Worum geht es an dieser Beratung genau?
- 2. Wie schaut der Weg danach aus?
- 3. Wie wird der Schlüssel berechnet?
- 4. Wer ist für, wer gegen den permanenten Mechanismus?
- 5. Was sind die wichtigsten Argumente?
- 6. Wäre ein EU-Quotenentscheid rechtlich bindend?
- 7. Was wären Konsequenzen für die Schweiz, wenn sie nicht mitmachen würde?
- 8. Wer müsste Flüchtlinge abgeben, wer welche aufnehmen?
Die entsprechenden Antworten
1. Was passiert an dieser Beratung genau?
Die Innen- und Justizminister tagen an einer ausserordentlichen Ratssitzung. Sie besprechen die von der EU-Kommission geforderte und vom EU-Parlament bereits grundsätzlich anerkannte Einführung eines verbindlichen Verteilschlüssels für die Flüchtlinge im europäischen Raum. Dabei werden zwei Schlüssel unterschieden. Zum einen ein Schlüssel im Rahmen der Notverteilung von 160'000 Flüchtlingen in den nächsten zwei Jahren, die zurzeit in Griechenland, Italien und Ungarn leben. Und 2. ein Schlüssel für die Einführung eines im Dublin-Recht abgesicherten permanenten Mechanismus für die Bewältigung zukünftiger Flüchtlingsströme. Der Innenministerrat kann einen formellen Beschluss fassen bezüglich der Ad-Hoc-Verteilung. Experten bezweifeln aber, dass angesichts der Meinungs-Divergenz eine Einigung zustande kommen kann, die über jene 40'000 Flüchtlinge hinausgeht, die bereits im Mai von der EU zur Verteilung vorgesehen worden sind.
2. Wie schaut der Weg danach aus?
Ein formeller Beschluss des Innenministerrates bedeutet noch nicht, dass ein Verteilschlüssel tatsächlich in Kraft treten wird. De facto werden noch weitere Verhandlungen im Rat der Europäischen Union sowie im Europäischen Parlament nötig sein, denn nur in diesen beiden Gremien kann die EU ihre Gesetze erlassen. Damit in diesen Gremien Einigung bezüglich eines permanenten Mechanismus' aber überhaupt entstehen kann, müssen voran die einzelnen EU-Staaten selbst den Reparaturarbeiten am zugrunde liegenden Dubliner-Abkommen zustimmen. Ein langer Weg.
3. Wie wird der Schlüssel berechnet?
Für die Ad-Hoc-Umverteilung von 160'000 resp. 40'000 Flüchtlingen sind vor allem vier Messgrössen ausschlaggebend: die Bevölkerungsgrösse und Wirtschaftskraft des Empfängerlandes, ferner die Zahl der bereits aufgenommenen Asylbewerber sowie die Höhe der Arbeitslosigkeit.
4. Wer ist für, wer gegen einen permanenten Mechanismus?
Abgesehen von divergierenden Meinungen innerhalb der einzelnen Mitgliedsstaaten sind die westeuropäischen Mitglieder der Union eher für eine verbindliche Quote, während man im Osten Europas sich eher dagegen ausspricht. Die offizielle Schweiz als assoziiertes Mitglied des Dublin-Abkommens zeigt ebenfalls Interesse an einem festen Verteilschlüssel. Desgleichen die anderen assoziierten Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein.
5. Was sind die wichtigsten Argumente?
Für die Quote: Die jetzige Situation ist untragbar – sowohl für die Flüchtlinge als auch für die Reputation der Europäischen Union. Das alte Dublin-Recht, wonach das Asylverfahren in den Ersteintrittsländern durchgeführt werden muss, verliert vor dem Hintergrund derart massiver Bevölkerungsbewegungen seine Funktionalität. Mit Quoten könnte die Belastung auch bei zukünftigen Ereignissen bewältigt werden.
Gegen die Quote: Die Berechnung der Quote folgt extrem bürokratischen Parametern, an die sich verzweifelte Flüchtlinge kaum halten werden. Darüber hinaus erachten die Gegner eine solche Quote erst dann für allenfalls sinnversprechend, wenn die illegale Migration an Europas Aussengrenzen erfolgreich unterbunden ist.
6. Wäre ein EU-Quotenentscheid rechtlich bindend?
Die Notverteilung folgt keinem politisch rechtsverbindlichen Verfahren, ergo auch ihr Verteilschlüssel nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten einem formellen Beschluss des Innenministerrats in der Umsetzung Folge leisten würden. Der permanente Mechanismus kann nur zur faktischen Anwendung gelangen, wenn sich die einzelnen Mitgliedstaaten, das Europa-Parlament und der Rat der Europäischen Union bezüglich der Änderung des Dublin-Abkommens einig würden. In diesem Fall wäre der permanente Mechanismus rechtskräftig.
7. Was wären Konsequenzen für die Schweiz, wenn sie nicht mitmachen würde?
Für den im Zentrum stehenden Notverteilungsschlüssel für wenigstens 40'000 der 160'000 Flüchtlinge in den Ersteinreiseländern Griechenland, Italien und Ungarn besteht für die Schweiz Mitmach-Freiwilligkeit. Ein im Rahmen eines modifizierten Dublin-Abkommens festgelegter permanenter Mechanismus müsste von der Schweiz und den drei anderen assoziierten Staaten aber zwingend übernommen werden. Andernfalls würde die EU das Dublin-Abkommen mit diesen Staaten auslaufen lassen. Tatsächlich gibt es aber noch eine Hintertür: Bevor der Rauswurf erfolgen könnte, müsste der gemischte EU-Ausschuss aus Vertretern der EU-Kommission und der Mitgliedsstaaten einstimmig den Ausschluss bestimmen. Experten gehen nicht davon aus, dass dies im vorliegenden Fall geschehen würde.
Verwendete Quellen
8. Wer müsste Flüchtlinge abgeben, wer welche aufnehmen?
Je nach der definitiven Ausgestaltung des Verteilschlüssels (die angesichts der Skepsis der osteuropäischen Mitgliedstaaten noch alles andere als feststeht), würden die zurzeit massiv belasteten Länder Griechenland, Italien und Ungarn entlastet. Aber natürlich auch Deutschland und Schweden, die sich zurzeit auf 800'000 bzw. 80'000 Flüchtlinge vorbereiten, könnten Asylverfahren auslagern. An Länder mit zurzeit niedriger Belastung wie England, Spanien, Frankreich oder auch Portugal. Für die Schweiz sind sich die meisten Migrationsexperten einig, dass sich die Einführung eines solchen Verteilschlüssels positiv auswirken würde. Bei angenommenen 500'000 Flüchtlingen in Europa ergäbe der vorgesehene Schlüssel eine Belastung von 4 Prozent für die Schweiz. Das entspräche dann knapp 20'000 Personen. Für dieses Jahr rechnet der Bund real jedoch bereits mit 30'000 Flüchtlingen. In der Pflicht stünden dann die anderen Dublin-Staaten.