Der Strafrechtsprofessor Christof Riedo von der Universität Freiburg kritisiert die Urner Justiz aufs Schärfste. In der «Rundschau» stellt er im Fall Ignaz Walker gravierende Verfahrensfehler fest.
Angeklager beteuert seine Unschuld
Es ist der grösste Indizienprozess im Kanton Uri. Im letzten Herbst hat das Urner Obergericht Ignaz Walker zu 15 Jahren Freiheitsentzug verurteilte. Der Cabaret-Betreiber soll einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt und 11 Monate zuvor auf einen Gast geschossen haben. Doch Walker beteuerte stets seine Unschuld.
Gravierende Rechtsverletzungen
Für den Strafrechtsprofessor aus Freiburg steckt schon im Verfahren an sich der Wurm. Der Hauptzeuge hatte rund 2,6 Promille intus, der ermittelnde Polizist war befangen, und rund um das Hauptindiz einer DNA-Spur stellen sich viele Fragen.
«Es ist schon auffällig», sagt Christof Riedo, «wie man systematisch Massnahmen blockiert, die an den Tag bringen könnten, dass sich die Geschichte anders abgespielt haben könnte.» Riedo hat die Akten studiert, für ihn ist klar: «Hier gab es Rechtsverletzungen.»
Nur scheinbar schlüssige Indizien
Ignaz Walker sitzt seit November 2010 hinter Gittern. Damals schoss jemand auf Walkers Ehefrau, eine ehemalige Cabaret-Tänzerin. Diese beschuldigte sofort ihren Ehemann, er habe einen Auftragskiller auf sie angesetzt. Die ermittelnde Polizei stiess bald auf einen tatverdächtigen Kroaten und die Tatwaffe.
Ballistische Untersuchungen ergaben, dass aus der gleichen Waffe schon einmal geschossen worden war: 11 Monate vor dem Mordanschlag. Damals fiel vor Walkers Cabaret «Taverne» in Erstfeld ein Schuss. Verletzt wurde niemand, aber ein Holländer beschuldigte Ignaz Walker. Dieser habe auf ihn geschossen. Die Urner Polizei stellte eine abgefeuerte Patronenhülse sicher. Auf dieser fand ein Kriminalpolizist angeblich eine DNA-Spur von Ignaz Walker.
Eine klare Indizienkette, die zu Walker führt, so scheint es. Doch «Rundschau»-Recherchen zeigen gravierende Unstimmigkeiten, die vom Urner Obergericht weitgehend ignoriert wurden.
Hat die Polizei den Belastungszeugen überredet?
So war der holländische Belastungszeuge – beim Vorfall und auch noch bei der polizeilichen Einvernahme kurz danach – massiv betrunken. Die Messungen der Polizei ergaben einen Blutalkoholwert von 2,58 Promille. «Auf einen solchen Zeugen kann schlicht und einfach keine Verurteilung basieren», so Linus Jaeggi, Rechtsanwalt und Verteidiger von Ignaz Walker.
Ebenfalls in den Akten ist festgehalten, dass sich der Holländer laut Zeugen wenige Tage nach dem Vorfall zu Walker an den Stammtisch setzte. Ignaz Walker gab dem Verhöramt zu Protokoll, der Holländer habe sich bei ihm für die falsche Anschuldigung entschuldigt. Die Polizei habe ihn dazu überredet.
Sowohl die Urner Staatsanwaltschaft wie auch das Obergericht hielten es jedoch nicht für zwingend, den Holländer nochmals zu befragen. Für Strafrechtsprofessor Christof Riedo eine weitere Rechtsverletzung: «All diese Gründe hätten dazu führen müssen, dass man diesen Holländer nochmals befragt.»
Kriminalpolizist: zuerst Streithahn, dann Ermittler
Aus den Akten geht weiter hervor, dass Ignaz Walker bereits bei der ersten Befragung darauf aufmerksam machte, dass ermittelnde Polizisten befangen seien. Tatsächlich hatten im Dezember 2006 vier Polizisten eine heftige Auseinandersetzung mit Walker, die mit einem Strafverfahren endete.
Auslöser war ein privater Besuch der alkoholisierten Polizisten in Walkers Striptease-Bar. Involviert war auch Kriminalpolizist M., der im Fall Walker die Spurenermittlungen führte. Für Strafrechtsprofessor Riedo ist klar: «Der Polizist hätte von sich aus sagen sollen, er trete in den Ausstand und nach dem Gesuch, das der Beschuldigte eingereicht hatte, hätte die Staatsanwaltschaft eingreifen müssen.» Doch nichts geschah.
Zweifelhafte forensische Sensation
Als Hauptindiz würdigte das Gericht eine DNA-Spur auf der abgefeuerten Patronenhülse. Doch diese DNA fand ausgerechnet derjenige Kriminalpolizist M., der gemäss Strafprozess-Professor Riedo wegen möglicher Befangenheit gar nicht erst hätte ermitteln dürfen.
Und ausgerechnet diesem Kriminalpolizist soll eine forensische Sensation gelungen sein: So hatte er angeblich von der abgefeuerten Patronenhülse vom Tatort Walkers DNA sicherstellen können.
«Beweismittel gegen den Strich bürsten»
Selbst dem renommierten Forensischen Institut Zürich ist dies noch nie gelungen, wie es in einem Bericht zu Händen des Urner Obergerichts festhält: «Wir haben in schätzungsweise 20 bis 40 Fällen Sicherstellungen von allfälligen DNA-Spuren ab Hülsen vorgenommen, jedoch ohne je eine verwertbare DNA-Analyse zu erhalten.»
Verteidiger Linus Jaeggi spricht zur «Rundschau» Klartext: «Hier wurde etwas manipuliert zu Ungunsten von Herrn Walker.» Er verlangte, dass das Gericht den Polizisten zu diesem gewichtigsten Beweismittel befragt. Doch das Obergericht verweigerte auch dies.
Dazu Strafprozessrechts-Professor Christof Riedo: «Man hat hier tatsächlich das Gefühl, dass Beweismittel teilweise ‹sec› gegen den Strich gebürstet wurden. Man spürt eine Grundtendenz: Das Ziel ist, den Betreffenden schuldig zu sprechen.»
Bundesgericht ist Ignaz Walkers letzte Chance
Der Verteidiger von Ignaz Walker spricht von einem krassen Fehlurteil des Urner Obergerichtes und hat deshalb Beschwerde vor Bundesgericht eingereicht.
Rechtsprofessor Christof Riedo ist überzeugt, «dass erhebliche Chancen bestehen, dass das Bundesgericht die untere Instanz nochmals anweist über die Bücher zu gehen.» Für Ignaz Walker ist das Bundesgericht die letzte Chance zur Wahrheitsfindung: «Ich weiss, dass ich unschuldig bin.»
Die «Rundschau» konfrontierte die Urner Strafverfolgungsbehörden und das Obergericht. Antworten gab es keine, denn es sei ein hängiges Verfahren.