«Wenn Frau will, steht alles still.» Dies riefen eine halbe Million Schweizerinnen in die Gassen, die Wut im Bauch, die Fäuste erhoben, die Banner in der Luft. – Das war vor 20 Jahren. Die Männerwirtschaft ist geblieben, die Ungleichheiten auch.
Eine neue OECD-Studie zur Gleichheit der Geschlechter zeigt: Frauen verdienen hierzulande nach wie vor gut 20 Prozent weniger als Männer. Und: Die Schweiz, die sich in Wirtschaftsrankings sonst so gerne in Spitzenpositionen sonnt, hinkt punkto Lohngleichheit hinter den andern her. Länder wie Neuseeland, Irland oder Belgien sind die Musterschüler. Die Schweiz folgt an 24. Stelle.
Hoher Anteil an Teilzeiterinnen
Wie kommt das? Die reiche und innovative Schweiz, ein Entwicklungsland in Sachen Gleichheit zwischen Mann und Frau? «Was an der Schweiz auffällt, ist der hohe Anteil an Frauen mit Teilzeitarbeit», sagt Willem Adema von der Abteilung Sozialpolitik der OECD.
45 Prozent aller erwerbstätigen Frauen sind Teilzeiterinnen. Im OECD-Schnitt ist der Anteil nur halb so gross, liegt bei 25 Prozent. Frauen, die Teilzeit arbeiten, haben weniger Aufstiegs-Chancen, werden von Firmen weniger wert geschätzt, erhalten weniger Grundlohn.
Adema ortet den Grund für die vielen Teilzeiterinnen in den wenig ausgebauten Angeboten für die Kinderbetreuung, auch in den hohen Kosten der Stätten. «Zudem gibt es ein grosses Stadt-Land-Gefälle.»
Bedarf erkannt
Kinderbetreuung ist ein wichtiger Faktor, damit die Spiesse in der Arbeitswelt gleich lang sind. Die SP will allerdings direkt bei den Firmen ansetzen. Die Partei forderte im Herbst via parlamentarischer Initiative eine 40-Prozent-Frauenquote für börsenkotierte Unternehmen.
Und: Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und der Arbeitsgeberverband haben laut «Sonntag» ein Positionspapier ausgearbeitet, das mehr Frauen in die Firmen-Spitzen bringen soll.
Firmen kontrollieren
Bundesrat Alain Berset möchte zwei bis fünf Stellen für das Gleichstellungsbüro in seinem Departement schaffen. Heute hat das Büro 12 Vollzeitstellen. Statt jährlich fünf, könnten so einige weitere Firmen punkto Lohngleichheit kontrolliert werden, wenn sie sich um einen Auftrag des Bundes bewerben.
Den Gewerkschaften geht dies allerdings zu wenig weit. «Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Doch es müssten etwa die Hälfte aller Firmen mit Bundesaufträgen, also etwa 180 Betriebe jährlich kontrolliert werden, wenn wirklich ein Umdenken stattfinden soll», sagt Thomas Zimmermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund.
Erfolge in kleinen Schritten
Die Daten der OECD
Gewiss, es gibt punkto Lohngleichheit Fortschritte, zaghafte. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sinken tendenziell. «Es gibt aber keine schnellen Veränderungen, egal welche Massnahmen ein Land trifft», dämpft Adema von der OECD die Erwartungen.
Allerdings könnte ein äusserer Umstand die Gesellschaft künftig zum Umdenken zwingen – die demografische Entwicklung. Frauen müssen mehr arbeiten, um den Mangel an Arbeitskräften wett zu machen, um die Renten zu finanzieren. «Es sei denn, ein Land setzt ganz und gar auf Migranten.»