Herr Graetzer, immer mehr Jugendliche häufen Tausende Franken an Schulden auf. Was läuft da schief?
Wir sind heutzutage die Generation der Nachsparer – das heisst: Heute kaufen, morgen zahlen. Während man früher noch auf etwas sparte und es sich dann leistete, wird heute oftmals konsumiert und erst später gezahlt. Nach meiner Erfahrung führt das dazu, dass sich einige Jugendliche schon sehr früh, sehr hoch verschulden. Die Boulevardpresse nennt sie «Generation Minus», weil sie das Erwachsenenleben schon mit Schulden beginnen.
Für was gehen die jungen Erwachsenen gern ins Minus?
Laut den Statistiken der Inkassofirmen wird vor allem für Online-Shopping, Telefon und Gesundheit Geld ausgegeben, das eigentlich nicht vorhanden ist.
Wie kommt es, dass Jugendliche ihre Finanzen nicht im Griff haben?
So lange sie zuhause wohnen, werden die Probleme oftmals noch überdeckt. Da spielen die Eltern schon einmal die Hausbank, greifen finanziell unter die Arme und übernehmen zum Beispiel die Handykosten oder wenden gar erste Betreibungen ab.
Und wann kommt das böse Erwachen?
Nun, das kommt meist mit dem Auszug aus der elterlichen Wohnung. Auf sich allein gestellt, fällt es vielen jungen Erwachsenen schwer, über den Monat und die nächste Rechnung hinaus zu planen. Viele vergessen Rücklagen zu bilden – für Versicherungsprämien oder die Steuer. Oftmals erliegen sie dann den Verlockungen unserer Konsumwelt.
Wie kann man da gegensteuern?
Vielen Jugendlichen müsste eine, wie ich es nenne, persönliche Finanzkompetenz beigebracht werden.
Sollte das zuhause erfolgen oder wäre das nicht die Aufgabe von Schulen?
Die Lehrer werden davon vermutlich nicht begeistert sein, aber neben den altbekannten Fächern sollten zunehmend auch sogenannte Lebensthemen auf der Agenda stehen. Wie lerne ich als Jugendlicher einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld, könnte eines dieser neuen Themen sein.
Aber Schule allein wird vermutlich nicht ausreichen, oder?
Nein, das ist richtig. Die Schule ist nur ein Baustein. Extrem prägend ist noch immer das Elternhaus. Aber auch da kann eben zuweilen einiges schief laufen.
Inwiefern?
Zuhause ist Geld immer verfügbar – wenn ich nur mein Bettelgesicht zeige. Doch das hilft den Jugendlichen nicht weiter, wenn sie dann später allein durchs Leben gehen müssen. Wir als Schuldenberatung plädieren deshalb für ein fixes Taschengeld.
Wie hoch sollte das sein?
Wir empfehlen ab dem Eintritt in die Primarschule einen Franken pro Schuljahr als wöchentliches Taschengeld.
Damit kommt man als Jugendlicher aber nicht besonders weit, oder?
Ab 12 Jahren bzw. mit dem Eintritt in die Sekundarstufe 1 sollten Eltern ihren Kindern ein erweitertes Taschengeld – einen sogenannten Jugendlohn – zur Verfügung stellen. Der könnte sich, abgestuft nach Alter der Jugendlichen, in einer Grössenordnung von 160 bis 270 Franken pro Monat bewegen.
Weshalb Jugendlohn und nicht Taschengeld?
Der Sinn liegt darin, dass Jugendliche möglichst früh lernen, ihr eigenes Budget zu verwalten. Denn der Lohn sollte im Idealfall nicht nur dazu da sein, um die Handyrechnung und Dinge, die man eigentlich nicht braucht, zu kaufen, sondern auch dazu, um Geld für grössere Anschaffungen – wie Bekleidung – zurückzulegen.
Und damit ist die Arbeit der Eltern erledigt?
Keinesfalls! Man sollte zuhause offen über Probleme sprechen. Sehen Sie, wann redet man denn im Elternhaus heute noch übers Geld? Doch eigentlich nur wenn es bereits Probleme gibt.
Dabei wäre es extrem wichtig, junge Menschen in Geldangelegenheiten schon frühzeitig «aufzuklären» – ihnen ein Bewusstsein zu geben, was Dinge kosten. Und dazu kann dann eben auch die Erkenntnis gehören, dass es besser wäre, hin und wieder Verzicht zu leisten.
Bei einigen kommt die Erkenntnis zu spät. Was können sie tun?
Sie sollten eine Budgetberatungsstelle aufsuchen. Die kann man gemeinsam mit den Eltern besuchen. Vielen fällt das leichter. Und das Ganze hat noch keinen negativen Touch – im Gegensatz zur Schuldenberatung. Die sollte man erst im zweiten Schritt aufsuchen.