Bei bestimmten Krankheiten sei es finanziell sehr lohnend, die Patienten eng zu betreuen, sagt der Gesundheitsökonom Willy Oggier. Diabetes sei ein klassisches Beispiel. «Mit Prävention und Bewusstseinsbildung kann sehr früh etwas gemacht werden», so Oggier. Viermal im Jahr beim Arzt über Ernährung und Bewegung diskutieren und die zentralen Laborwerte prüfen, das wirke sich positiv aus.
Vorbeugen und begleiten
Hierbei besteht durchaus Sparpotenzial: Ohne Begleiterkrankungen kostet eine Diabetes-Behandlung 3000 Franken pro Jahr. Mit Begleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen, Rheuma oder erhöhten Blutfettwerten kostet die Behandlung vier Mal so viel. Eine koordinierte Behandlung, in der ein eingespieltes Spezialisten-Netz den Patienten wie aus einer Hand betreut, macht deshalb Sinn.
Mangel an Fachpersonen
Das findet auch die Pflegewissenschaftlerin Maya Shaha. Nur müsse man sich bewusst sein, dass die Patienten so auch einen Teil ihrer Autonomie verlören, sagt sie. Den Arzt zu wechseln, wenn die Chemie nicht mehr stimmt, das sei in einem etablierten Behandlungsteam nämlich nicht mehr so einfach möglich. Beginnt hier also die Rationierung im Gesundheitswesen? Nein, sagt Shaha. Die Rationierung habe längst begonnen.
Viele Stellen im Gesundheitsbereich könnten nicht mit dem nötigen Fachpersonal besetzt werden. Wegen des Personalmangels hätten Pfleger und Ärztinnen zu wenig Zeit für die Patienten und sie müssten schon heute Prioritäten setzen.
Verdeckte Rationierung
Das ist nicht alles, wie Markus Zimmermann ergänzt. Er arbeitet mit Shaha zusammen in der nationalen Ethikkommission. Es gebe eine weitere verdeckte Rationierung: Nicht alle wichtigen medizinischen Leistungen würden nämlich überall in der Schweiz in gleichem Mass angeboten. Als Beispiel nennt der Theologe und Ethiker von der Universität Freiburg Palliative Care, also die Versorgung von chronisch kranken Menschen, die unter starken Schmerzen leiden oder am Ende des Lebens angelangt sind.
«Hier gibt es grosse Unterschiede», konstatiert er. In gewissen Regionen sei die Versorgung sehr gut, etwa in der Ostschweiz oder im Waadtland. An anderen Orten sei sie sehr dürftig, etwa in der Innerschweiz. In diesem Bereich müsste das Angebot also ausgebaut werden, sagt Zimmermann. Klar, das koste Geld. Dafür könne andernorts abgebaut werden, ist er überzeugt.
Auch über Spitalkosten von Sterbenden diskutieren
Finanziell ins Gewicht fallen vor allem die Operationen am Lebensende. Aber es gehe nicht um Rationierung, sondern um ein ehrliches Abwägen, was dem Patienten wirklich noch etwas bringe – eine letzte teure Behandlung bei Lungenkrebs zum Beispiel.
Zimmermann zitiert dazu eine renommierte Studie. Sie zeige, dass – wenn Palliativmedizin früh genug eingesetzt werde – die Patienten das Lebenensende besser erleben, sogar länger leben «und viel kostengünstiger sind».
Die Experten sind sich einig: Es gehe nicht darum, alten Menschen am Lebensende lebensnotwendige Massnahmen zu verweigern. Aber es gelte jetzt in Politik und Gesellschaft das Tabu zu brechen; und auch bei sterbenden Menschen über die Spitalkosten zu sprechen.