November 1992: Ausgerüstet mit einem ferngesteuerten U-Boot versuchen 35 Greenpeace-Aktivisten, in der russischen Karasee den Atommüll zu dokumentieren. Mittendrin: der damals 22-jährige Schweizer Andreas Freimüller.
Plötzlich wird die Situation für die Crew bedrohlich. Die russische Küstenwache beschiesst das internationale Greenpeace-Schiff – alle Aktivisten werden verhaftet. Freimüller wird nach elf Tagen in russischer Gefangenschaft freigelassen. Heute sagt der St. Galler zu SRF News Online: «Ich würde es wieder tun, es hat sich gelohnt.»
Interview mit Andreas Freimüller
SRF News Online: Warum sind für Sie riskante Greenpeace-Aktionen noch immer der richtige Weg, um sich politisch Gehör zu verschaffen?
Andreas Freimüller: Manchmal muss man Grenzen überschreiten. Es reicht nicht, Bettelbriefe an Regierungschefs zu schreiben. Viele Greenpeace-Aktionen waren schon sehr erfolgreich – ich habe viele Kampagnen selber miterlebt. Dass man für solche Aktionen auch einmal ins Gefängnis kommt, gehört dazu.
Trotzdem, eine U-Haft in Russland ist kein Honigschlecken. Was war das Schlimmste, als sie vor 21 Jahren in Murmansk festgehalten wurden?
Das Schlimmste in der Gefangenschaft ist die grosse Ungewissheit. Was passiert mit mir? Wie lange dauert der Spuk? Das ist sehr zermürbend. Dazu kam, dass ich damals noch kein Russisch sprach. Das verunsicherte mich zusätzlich.
Das wird nicht spurlos an Marco vorbeigehen.
Wissen Sie, wie es dem Schweizer Marco Weber momentan geht?
Letzthin traf ich seinen Vater. Spätestens dann wusste ich, dass Marco ein sehr starker Mensch ist. Er ist sehr zäh und lässt sich nicht leicht aus der Ruhe bringen. Seine innere Kraft hilft, gestärkt aus der misslichen Lage zu kommen. Die Gefangenschaft wird aber sicherlich nicht spurlos an ihm vorbeigehen.
Haben Sie Tipps für Weber?
Das ist eine sehr schwierige Frage, weil ich nicht so lange in Haft war wie Weber. Ich rate ihm, im Gefängnis einen Ort der Einsamkeit zu suchen. Auch seine meditativen Techniken sind sehr hilfreich, um innere Ruhe zu finden.
Wird Weber in der Zelle seinen Protest bereuen?
Weber darf sich nicht hinterfragen. Er darf den Glauben nicht verlieren, dass seine Aktion in der Arktis einen Zweck hatte. Es ist sehr wichtig, dass Greenpeace auf die Ölbohrungen des russischen Gazprom-Konzerns in der Arktis aufmerksam macht. Webers Handlung hat ökologisch eine grosse Bedeutung, es ist ein Meilenstein. Ein ähnlicher Konflikt um die Rohstoffexploration ist vor gut 20 Jahren nach einer langen Greenpeace-Kampagne mit dem Antarktisvertrag beigelegt worden. Ich hoffe sehr, dass die Arktis bald auch vor Ausbeutung und Zerstörung geschützt ist.
Wie sehen Sie die Rolle der offiziellen Schweiz? Macht die Regierung genug, um Weber frei zu bekommen?
Nein. Die Schweiz betreibt hier leider Duckmäusertum. Ich weiss zwar nicht genau, was diplomatisch hinter den Kulissen läuft, aber ich würde mir von der Schweizer Regierung eine klare öffentliche Stellungnahme zur Freilassung wünschen, wie es Deutschland oder Frankreich getan haben: Weder ein Staatssekretär noch der Vorsteher des EDA haben sich je zum Fall geäussert. Im Ausland ist das anders: Einige Regierungschefs haben sogar eigens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert.
Die Schweiz betreibt Duckmäusertum.
Was denken Sie, wann wird Weber freigelassen?
Das ist schwer abzuschätzen. Ich denke aber, die russische Regierung hat kein grosses Interesse daran, wegen einem eher fadenscheinigen Prozess für längere Zeit internationale Probleme zu haben. Die Justiz mag zwar ihre eigene Agenda haben, aber schlussendlich bestimmt in Russland die Regierung.
Das Gespräch führte Benedikt Widmer.