Spätestens seit der Verhaftung eines äthiopischen Imams in Winterthur stehen die islamischen Geistlichen unter verstärkter Beobachtung. Was dürfen sie hier in der Schweiz predigen und was nicht? Welche Werte sind allen Muslimen gemeinsam, welche nicht?
Das sind wichtige Fragen, aber noch viel wichtiger sind die Antworten darauf, denn häufig kennen Imame die Schweiz zu wenig gut. Deshalb bietet das Zentrum für Islam und Gesellschaft der Universität Freiburg seit neuem Weiterbildungen für Imame an.
Zum Beispiel zum Thema «Spitalseelsorge» in der türkischen Moschee in der Zuger Gemeinde Baar. 20 Imame aus verschiedenen Teilen der Schweiz hören dem reformierten Theologen Pascal Mösli zu. Er hat jahrelange Erfahrungen als christlicher Seelsorger am Berner Inselspital. In seinem Vortrag informiert er die allesamt in der Türkei ausgebildeten Geistlichen über das Schweizer Gesundheitswesen, die Abläufe in Spitälern und die Rechte von Patienten.
Missionieren im Spital ist absolut tabu.
Es sei wichtig, dass sich vermehrt islamische Geistliche um muslimische Patienten in den Spitälern kümmern wollten, findet Mösli: «Die persönlichen Fragen, die religiösen und spirituellen, sind immer auch Fragen, die mit der eigenen Heimat und Kultur zu tun haben. Am besten ist es, wenn ich mit jemanden unterwegs sein kann, der in dieser gleichen Kultur verwurzelt ist und mit mir meine Sprache sprechen kann.» Mösli macht in seinem Vortrag aber auch deutlich, wo die roten Linien bei der Spitalseelsorge liegen. Missionieren im Spital ist absolut tabu, betont er.
Solche Vorträge seien sehr wertvoll, sagt Bilal Yildiz, Imam und Kursteilnehmer aus Zürich-Schwamendingen. Er selber hat bereits Erfahrungen als Gefängnisseelsorger und möchte künftig auch als Spitalseelsorger tätig sein: «Wir als muslimische Seelsorger wollen von unseren christlichen Berufskollegen profitieren und viel lernen.»
Ich habe im Kurs über die Methoden der Spitalseelsorge viel erfahren.
In der Mittagspause gibt es ein kurzes Innehalten. Die Imame versammeln sich zum gemeinsamen Gebet. Dass die Universität Freiburg gerade für Imame Kurse anbiete sei wichtig, denn die Geistlichen spielten eine wichtige Rolle bei der Integration, sagt die Religionswissenschaftlerin Andrea Lang, die den Kurs organisiert hat.
Imame sind in einer Schlüsselposition
Die Imame seien theologisch ausgebildet, brächten daher auch die nötigen Kompetenzen mit und würden von den Behörden als Ansprechpersonen wahrgenommen, betont Lang.
Es ist wichtig, mit den Imamen im Gespräch zu bleiben und sie in der Arbeit zu stärken und zu bestärken.
Berühren – oder doch lieber nicht?
Am Nachmittag wird viel diskutiert, zumeist auf Türkisch oder mit Hilfe eines Übersetzers. Es kommen auch schwierige Fragen auf: Darf ein Imam einer kranken oder gar sterbenden Patientin tröstend die Hand auf den Arm oder die Schulter legen?
«Nein», finden einzelne, streng konservative Imame, die am Kurs teilnehmen. Die religiösen Vorschriften erlaubten ausserhalb der Familie keine Berührungen zwischen den Geschlechtern. «Doch», sagt eine Mehrheit der Kursteilnehmer. Hauptziel der Religion sei es, den Menschen zu helfen. Da müsse man etwas offener sein.
Integrationspolitisch sind das wichtige Diskussionen. Am Baarer Workshop sind sich denn auch alle einig, dass die islamische Seelsorge an Schweizer Spitälern ausgebaut und verbessert werden soll.
Von der Spitalküche bis zur Sprache
Doch bei den Prioritäten gehen die Meinungen auseinander. Imam Hasan Sivri aus Winterthur etwa wünscht sich, dass es für muslimische Spitalpatienten einfacher wird, islamisch zubereitetes Halal-Essen zu erhalten.
Imam Bilal Yildiz dagegen sieht das Hauptproblem bei den eigenen Leuten: «Wir müssen einfach zuerst die Sprachbarriere überschreiten. Es geht also um die Lösung der Sprach- und Kontaktprobleme. Das zweite Problem ist die Finanzierung entsprechender Massnahmen.»
Gerade die Sprache ist wichtig für Spitalseelsorger. Denn sie müssen nicht nur mit den Patienten, sondern auch mit Ärzten und dem Pflegepersonal kommunizieren können. Doch viele Imame, die in der Deutschschweiz tätig sind, sprechen kaum oder nur schlecht Deutsch. Es gibt also noch viel zu tun.