Während zehn Drehtagen war das Team bei aktiven Leserinnen und Lesern von srf.ch zu Besuch. Die Route führte von Schaffhausen nach Lausanne, vom Aargauer Fricktal ins Berner Seeland. 3200 Kilometer durch die Schweiz. So verschieden die besuchten Orte waren, so verschieden waren auch die Leute, die uns zu diesen Orten führten. 16 unterschiedliche Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie schreiben aktiv Kommentare auf srf.ch und auf den Social Media-Profilen von SRF News (bei Facebook oder Twitter).
Im Vorfeld waren 150 zufällig ausgewählte Kommentarschreiberinnen und –schreiber kontaktiert worden. Ich wollte wissen, wer sie sind und warum sie kommentieren. Es interessierte mich, die Gesichter hinter den Zeilen zu kennen. Ein Drittel der angegebenen E-Mail-Adressen war ungültig, ein Drittel der Angeschriebenen antwortete nicht. Von einem weiteren Drittel kam eine Rückmeldung – davon waren 16 Personen bereit, uns mit der Kamera zu empfangen.
Ein Einblick in die persönlichen Motivationen
Viele der kontaktierten Personen freuten sich über die Anfrage. Die Gründe für eine Absage sind vielfältig. Scheu wurde genannt. Sie schätze gerade eben die teilweise Anonymität des Internets und wolle das nicht ändern, antwortete eine Leserin. Andere persönliche Gründe waren beispielsweise die eigene aktuelle Stellensuche oder die Rücksicht auf die Familie. Besonders viele Frauen nannten den letzten Grund. Dabei fiel der Verweis auf die noch schulpflichtigen Kinder oder die Exponiertheit gegenüber Nachbarn. Dies mag mit ein Grund sein, weshalb etwas weniger Frauen als Männer in «Kommentarland» porträtiert sind.
«Kommentarland» hat nicht den Anspruch einer repräsentativen Studie. Es sollte auch von Anfang an nicht ein Vorführen der Porträtierten werden – und wir wollten nicht in die Kerbe schlagen, dass Online-Kommentarspalten bloss voller sogenannter Trolle seien. «Kommentarland» bietet einen Einblick in die ganz persönlichen Motivationen, Gedanken und Reflexionen der besuchten Schreiberinnen und Schreiber.
Beitrag zur Demokratie oder Selbstdarstellung?
Bezüglich der Motivation, die eigene Zeit und Energie in das Kommentieren von Artikeln zu stecken, haben sich einige Gemeinsamkeiten gezeigt: Durchs Band wird der eigene Beitrag als Teilhabe am demokratischen Prozess im Land verstanden, vielfach auch als Verorten der eigenen Meinungen und Haltungen, als Möglichkeit des Austausches und – natürlich – der Konfrontation.
In den Gesprächen wurde der Wunsch geäussert, einerseits neue Aspekte in eine Diskussion einbringen zu können. Andererseits ist überraschenderweise auch die Bereitschaft vorhanden, die eigen Meinung, die oft bereits zu Beginn der Diskussionen gemacht ist, durch andere Aspekte eines Themas aus der Debatte zu ergänzen. Es ist schwierig zu sagen, inwiefern die Kamerapräsenz manche Aussagen beeinflusst hat. Dennoch gab es auch selbstkritische Äusserungen. Zu einem gewissen Grad sei das Kommentieren auch Selbstdarstellung, bekannte einer der Porträtierten.
Keine Ein-Weg-Kommunikation
Gerne hätte ich mehr Zeit für die einzelnen Gespräche gehabt. Die besuchten Menschen haben uns die Tür zu ihrem Zuhause geöffnet oder uns an ihre Lieblingsorte geführt. Die Gespräche gingen auch weiter, nachdem die Kamera nicht mehr lief. Von Anfang an war uns klar, dass die geführten Gespräche keine Ein-Weg-Kommunikation werden sollten, kein reines Frage-Antwort-Spiel. Aus diesem Grund war mir die Auseinandersetzung mit den Besuchten wichtig – und ihnen auch aus dem Arbeitsalltag einer Onlineredaktion zu erzählen.
Für viele war das Sprechen vor der Kamera verständlicherweise eine neue Erfahrung, die sowohl Neugier wie auch Schüchternheit mit sich brachte. Die Drehorte waren uns vorher unbekannt; eine weitere Herausforderung eher technischer Natur. Die Überwindung dieser Punkte ist auch der professionellen Herangehensweise der Kameraleute, deren Mitarbeit weit über Kamera und Schnitt hinausging, zu verdanken.
Nicht bloss «ins Blaue hinaus»
Was ich vor den Gesprächen nicht in diesem Masse erwartet hatte, war die Reflektiertheit der Schreibenden. Die meisten besuchten Menschen wissen ganz genau, warum sie schreiben und was sie sich davon erhoffen. Mehr als von mir gedacht, wird die Möglichkeit geschätzt, als Leserin oder Leser überhaupt auf Artikel reagieren zu können.
Das zu erfahren, tut gut – führt es einem doch wieder vor Augen, dass Redaktionen nicht «ins Blaue hinaus» schreiben. Im Alltag vergisst man manchmal, dass Kommunikation auch Interaktion bedeutet. Als Onlineredaktorin liest man hunderte Kommentare, betreut das Forum und die sozialen Medien. Die Kommentierenden? Manchmal bekannte und doch fremde Namen. Es sind Zeilen, im besten Falle 500 Zeichen – das ist die maximale Zeichenanzahl in der Kommentarfunktion.
Als Redaktorin war es eine neue Erfahrung, das tägliche Gegenüber kennenzulernen – zu diesen Namen gibt es nun ein Gesicht. Umgekehrt scheint das auch der Fall zu sein: Die besuchten Personen haben sich laut eigenen Angaben alle gefreut über den Besuch von «Kommentarland», über das Gespräch, über das Ernstgenommen-Werden als Leserin oder Leser. Die «Story» endet eben doch nicht mit dem Fertigschreiben des Artikels.