Das Leid der Opfer anerkennen und Lehren ziehen aus dem Unrecht das geschah. Das war die Idee des runden Tisches, den Justizministerin Simonetta Sommaruga vor über einem Jahr ins Leben rief. Am Tisch sassen die Opfer von damals, zusammen mit Vertretern von Behörden und Kirchen, von Heimorganisationen und vom Bauernverband.
Gedenkstätte und historische Aufarbeitung
Heute wurde der Schlussbericht als Ergebnis der gemeinsamen, monatelangen Arbeit präsentiert. Eine nationale Gedenkstätte für die Opfer wird gefordert. Zugleich müsse das Unrecht historisch erforscht und an den Schulen thematisiert werden.
Der Bericht betont ausserdem, dass die Opfer finanzielle Entschädigungen erhalten müssten. Um ein Zeichen zu setzen. Und weil viele der Betroffenen nie die Möglichkeit hatten, schulisch weiterzukommen oder einen guten Beruf zu erlernen.
«Ein wichtiger Schritt sei dies», findet Andreas Jost, der als Kind seinen Eltern weggenommen und von einem Heim ins nächste gesteckt wurde. Für ihn ist jetzt vor allem bedeutend, dass die Mechanismen untersucht werden, die zu all dem Elend geführt haben. Er sei wieder ein wenig zuversichtlicher, dass aus dieser Bereitschaft heraus etwas entstehen könne.
Für Härtefälle gibt es bereits einen Soforthilfefonds. Darüber hinaus soll der Bund aber auch einen Solidaritätsfonds einrichten, der alle Opfer mit einem einheitlichen Betrag entschädigt. Rentner unter ihnen sollen noch einen Zuschlag zur AHV bekommen.
Sommaruga: Finanzielle Seite sehr genau anschauen
Bundesrätin Simonetta Sommaruga zeigt sich dafür offen: «Finanzielle Leistungen spielen auch eine Rolle. Deshalb waren sie auch ein Thema am runden Tisch. Wir werden nun diese Frage auch im Rahmen des gesamten Berichtes sehr genau anschauen.»
Allerdings nennt der Bericht keine Zahlen oder Geldbeträge. Viele der Opfer hätten sich hier konkretere Aussagen gewünscht. Die Zurückhaltung habe einen Grund, erklärt Luzius Mader, der als Delegierter des Bundes den runden Tisch geleitet hat: «Wir müssen auch klarere Vorstellungen darüber haben, welche Beträge überhaupt politisch mehrheitsfähig sein könnten.»
Volksinitiative für 500-Millionen-Fonds
Denn klar ist: Beim einem Solidaritätsfonds wird das Parlament das letzte Wort haben. Dort gab es bislang für finanzielle Wiedergutmachungen keine Mehrheit. Da wird es mit Blick auf einen Fonds noch viel Überzeugungsarbeit brauchen.
Druck kommt jetzt vor allem von einer Volksinitiative. Die sogenannte Wiedergutmachungs-Initiative fordert einen Fonds über 500 Millionen Franken und wird auch von einigen Politikern und Intellektuellen unterstützt.
Wer soll Geld erhalten?
Neben dem genauen Betrag gibt es aber noch eine andere heikle Frage: Wer alles hat überhaupt Anspruch auf solche Zahlungen? «Nicht alle Personen, die von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen betroffen waren oder fremdplatziert wurden, sind Opfer im eigentlichen Sinn», stellt Mader fest. Geld sollen deshalb nur jene Menschen erhalten, die direkt Opfer von physischer, psychischer oder sexueller Gewalt wurden.
Allerdings kann die Unterscheidung zwischen Opfer und Betroffenen im konkreten Einzelfall schwierig werden. Und doch: Der runde Tisch hat jetzt die Grundlagen gelegt, damit sich die Schweizer Gesellschaft endlich dem unbequemen Thema stellen kann, mit dem sich jahrelang niemand befassen wollte.