Mindestens zweimal im Jahr spricht der Bundespräsident direkt zum Volk: am Nationalfeiertag und zum Neujahr. In den Reden zum Nationalfeiertag nimmt er häufig Bezug zum aktuellen Zeitgeschehen.
Ein Beispiel sind die Umwälzungen in Ost-und Mitteleuropa vor 25 Jahren. Arnold Koller (CVP) verstand den Fall des Kommunismus als Geburtsstunde eines neuen Europas. In seiner Ansprache am 1. August 1990 bereitete der damalige Bundespräsident die Schweiz auf die Wirtschaftsentwicklungen vor: «Der europäische Binnenmarkt steht vor der Tür.»
Bundesrat als Tröster und Motivator
Als Kaspar Villiger (FDP) am 1. August 2002 vor das Mikrofon trat, waren viele Schweizer und Schweizerinnen noch traumatisiert von den schrecklichen Ereignissen der letzten Monate:«Der mörderische Amoklauf in Zug, der Flugzeugabsturz in Bassersdorf und der Flugzeugzusammenstoss über dem Bodensee haben uns alle tief bewegt. Das frühere Qualitätssymbol Swissair brach zusammen.»
Die 1.-August-Rede im Wandel der Zeit
Der Bundespräsident beschwor die Schweiz auf ihre Tugenden: «Mit einer gemeinsamen Anstrengung wird es gelingen, auch die heutigen Herausforderungen zu bewältigen und unsere Zukunft erfolgreich zu gestalten.»
Vor einer schwierigen Situation stand auch Alphons Egli 1986. Im April ereignete sich die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl. Nur zwei Jahre zuvor nahm der Reaktor in Leibstadt (AG) seinen Betrieb auf. Der CVP-Bundespräsident sprach Klartext: «Die letzten Wochen und Monate haben uns in eindringlichster Weise bewusst werden lassen, dass wir mit der Nutzung moderner Technologien an Grenzen stossen.» Für die damalige Zeit ein mutiger Satz.
Moritz Leuenberger und die belegten Brötli
Einer der wenigen Bundesräte, die in ihrer Amtszeit zwei Mal als Bundespräsident fungierten, war Moritz Leuenberger. Der SP-Bundesrat bleibt vor allem mit seiner Ansprache am 1. August 2006 in Erinnerung: «Ich erinnere mich, wie wir als Kinder den 1. August feierten», waren seine Worte. «Meine Mutter belegte Brötli und gestaltete mit Tomaten und Emmentalerkäse Schweizer Kreuze. Ich weiss noch: Wir hatten damals ausländische Gäste, die sich entsetzten und fanden, es sei respektlos, ein Hoheitszeichen mit Tomaten und Käse darzustellen.»
Wenig Herzlichkeit im Bundesrat
Im Gespräch erinnert sich Moritz Leuenberger nochmals an die 1.-August-Ansprachen:
SRF News: Herr Leuenberger, 2006 haben Sie in Ihrer Ansprache zum 1. August beschrieben, wie Ihre Mutter belegte Brötli zum Nationalfeiertag richtete und mit Emmentalerkäse Schweizer Kreuze bildete. Welche Reaktionen haben Sie damals erhalten?
Moritz Leuenberger: Da haben mir einige zurückgeschrieben. Sie fanden diesen Einstieg furchtbar lustig und berichteten von ihren eigenen kulinarischen 1. August-Sitten.
Gab es auch Feedback von anderen Bundesräten?
Nein, weder positive noch negative. Das war damals auch nicht üblich. Vielleicht ist der aktuelle Bundesrat in dieser Hinsicht etwas herzlicher geworden.
Sie haben 2001 und 2006 zum Nationalfeiertag geredet. Wie lange dauert die Vorbereitung zu einer solch wichtigen Rede?
Das kann ich nicht so genau berechnen. Ich entwerfe die erste Fassung etwa einen Monat vorher. Dann ergänze und streiche ich immer wieder. Und nach der Rede weiss ich, was ich doch anders hätte formulieren müssen…
Haben Sie Vorbilder für Ihre Reden?
Nein. Da ich die Reden selber schreibe, sind sie auch immer sehr persönlich. Die Rückmeldungen dann allerdings auch, zustimmend und ablehnend.