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Ein Junge sitzt auf einem Tripptrapp, seine Mutter erklärt ihm englische Wörter. Im Hintergrund das Bett.
Legende: Ein kurzer Schulweg. Keystone

Schweiz Mami ist jetzt auch eine Lehrerin

Homeschooling ist im Trend. Also Unterricht zu Hause. Was in den USA bei evangelikalen Familien längst Einzug gehalten hat, findet in der Schweiz immer mehr Nachahmer. Mittlerweile sind sie keine Einzelkämpfer mehr. Im Netz organisieren sie sich. Experten melden Bedenken an.

Viele Erstklässler werden den heutigen Tag wohl nie vergessen. In vielen Kantonen war heute ihr erster Schultag. Auf dem Pausenplatz guckten sie sich noch schüchtern um. Manche hielten den neuen Schulthek unsicher in den kleinen Händen und andere vielleicht auch eine Schultüte.

Es gibt auch Jungen und Mädchen in der Schweiz, die nach dem Frühstück wieder zurück ins Zimmer gehen und auf die Mutter warten. Da und dort ist nämlich jetzt Mami die Lehrerin.

Offizielle Zahlen sind keine vorhanden, aber Beobachter gehen von einer steigenden Zahl von Kindern aus, die zu Hause unterrichtet werden. Diese Unterrichtsform heisst Homeschooling und kommt - der Name verrät es - aus den USA. Vor allem in evangelikalen Haushalten Amerikas gehen die Kinder nicht in die Schule, sondern lernen bei Mutter oder Vater.

Unterschiedliche Rechtsauslegung

Hierzulande ist die Lage etwas komplizierter. Grundsätzlich gilt: In der Schweiz kann die Schulpflicht durch folgende Institutionen erfüllt werden:

  • öffentliche Schule
  • Privatschule
  • Privatunterricht (Homeschooling)

Die kantonalen Schulgesetze unterscheiden sich in der Bewilligung von Homeschooling zum Teil stark. Das geht so weit, dass einzelne Zürcher Eltern ins Appenzell ziehen, wo die Regeln für Homeschooling liberaler ausgelegt werden. Aber nur in Appenzell Ausserrhoden.

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Immer mehr Eltern wollen ihre Kinder selber unterrichten. Ihr Argument: In der Schule wird gemobbt, geschlagen und die Lehrperson ist schlecht. Ein Experte hat eine andere Sicht auf die Dinge. Welche, lesen Sie hier.

Hier werden etwa 30 Kinder von den Eltern beschult. Ganz anders sieht das in Appenzell Innerrhoden aus. Hier sind die Hürden für Homeschooling so hoch, dass kein einziges Kind zu Hause lernt. So muss Mutter oder Vater eine kantonale Lehrbewilligung besitzen und die obligatorischen Lehrmittel verwenden.

Strenge Regeln kennt man auch im Kanton Zürich: Das Kind darf höchstens ein Jahr lang von Eltern unterrichtet werden, die über kein Lehrerpatent verfügen. Im Kanton Aargau kann man durch «geeignetes Fernstudium» auch ohne Lehrbewilligung seine Kinder unterrichten.

Homeschooling – wegen langem Schulweg

Ähnlich wie in den USA unterrichten auch hierzulande vor allem religiöse Familien in den eigenen vier Wänden. In manchen Fällen ist das Harmos-Konkordat der ausschlaggebende Grund, die öffentliche Schule zu meiden. Der einheitliche Aufklärungsunterricht und die sogenannte «Sexbox» haben religiöse Eltern abgeschreckt. Es gibt aber auch andere Gründe, die Eltern dazu bewegen, ihre Kinder selber zu unterrichten: der lange Schulweg, reformpädagogische Gründe und der Wunsch nach einer individuellen Betreuung.

«Privatschule für den kleinen Mann»

Privatunterricht in der Schweiz:

Der Trend zum Klassenzimmer in den eigenen vier Wänden findet aber auch Kritiker. Der Jugendpsychologe Allan Guggenbühl findet, dass im Homeschooling etwas Grundlegendes fehlt: das soziale Umfeld. Und für die Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm von der Universität Fribourg ist Homeschooling eine «Privatschule für den kleinen Mann», wie sie Mitte Mai gegenüber «Echo der Zeit» erklärte. Stamm: «Ich erachte es als Herausforderung, dass Kinder beispielsweise keinen Schulweg haben, dass sie immer von den Eltern beschult und kontrolliert werden, dass sie keine eigene Welt haben.»

Freunde finden dank Verein und Musikschule

Ein Anruf bei Regula Bott. Sie unterrichtet ihre eigenen Kinder und setzt sich sehr für deren soziales Umfeld ein. Ihr ist es sehr wichtig, dass die Kinder Kontakt zu den anderen Kindern haben. Deswegen gehen sie auch in einen Verein und in die Musikschule. Bott differenziert: Wenn Kinder schon lange in einer Gegend wohnen, ist die Kontaktsuche mit Gleichaltrigen leichter als wenn man neu einzieht. Und gerade durch den Besuch in Vereinen, was sie unterstützt, finden Jugendliche auch den Anschluss. Für Bott ist klar: Die positiven Aspekte von Homeschooling überwiegen die negativen Aspekte.

Der «Verein Bildung zu Hause Schweiz» beruft sich aber auch auf den Grundsatz der Bildungsfreiheit, der sich in zahlreichen kantonalen Verfassungen wiederfindet. Neu ist auch, dass sich die Verfechter des Heimunterrichts miteinander vernetzten.

Misstrauen gegenüber dem Staat

Zum Beispiel im «Verein Bildung zu Hause Schweiz». Auf der Plattform www.bildungzuhause.ch finden sich Studien, Rechtshilfe, ein Veranstaltungskalender und Unterrichtshilfen. Der Verein findet aber auch deutliche Worte. Dann, wenn vor dem Harmos -Konkordat gewarnt wird: «In der Schweiz wird eine totalitaristische Grenzüberschreitung sichtbar.» Dem Staat wird auf dieser Plattform kritisch begegnet: «Er hat keine Opfer gebracht, er besitzt keine Liebe, seine schiere Existenz verdankt er dem freien Kinderentscheid seiner Bürger!»

So bleiben die Fronten verhärtet. Auf die Frage hin, welche Folgen ein zunehmender Trend bei Homeschooling hat, antwortet Allan Guggenbühl: «Wenn Homeschooling zunimmt ist das nicht gut für die Gesellschaft. Durch die Schule haben Kinder mit verschiedenen sozialen Kreisen und Schichten zu tun.» Die soziale Durchmischung wäre gefährdet, so Guggenbühl.

SRF 4 News, 5 Uhr

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