Das Wichtigste in Kürze:
- Die Zahl der Asylsuchenden, die aus Österreich in die Schweiz gelangen, hat sich in den letzten drei Monaten vervierfacht.
- Das Grenzwachtkorps will an der Ostgrenze mehr Personal aufbieten.
- Laut dem Korps-Chef fehlen allerdings bis zu 300 Stellen.
Im Kanton St. Gallen seien in den letzten vier Wochen 657 Asylgesuche eingegangen, sagt Hanspeter Krüsi, Sprecher der Kantonspolizei, gegenüber der «NZZ am Sonntag». In den vier Wochen zuvor seien es 354 gewesen, im Monat davor habe die Zahl noch bei 154 gelegen.
Noch mehr zugenommen habe die Zahl der Personen, die an der schweizerisch-österreichischen Grenze vom Grenzwachtkorps (GWK) wegen illegalen Aufenthalts angehalten wurden. Sie betrug gemäss Bericht im August 709, im Juli 289 und im Juni 110. Das entspreche einer Versechsfachung innert drei Monaten, meldet die Zeitung unter Berufung auf die neuesten GWK-Statistik von dieser Woche.
Über 100 Schlepper verhaftet
Der Anstieg sei eine Folge davon, dass spätestens seit letztem Frühling immer mehr Flüchtlinge über den Balkan, Ungarn und Österreich nach Westeuropa ziehen. Die meisten der an der schweizerisch-österreichischen Grenze angehaltenen Personen stammen, wie es weiter heisst, aus Afghanistan, Syrien, Kosovo, Irak und Pakistan.
Bemerkenswert sei auch, dass das Grenzwachtkorps an der Grenze zu Österreich am meisten Schlepper verhaftet. Seit Anfang Jahr sind es dem Bericht zufolge 105. Die Festgenommenen stammten mehrheitlich aus Kosovo, Syrien, Serbien, der Schweiz und der Türkei.
GWK-Chef: Zunahme der Flüchtlinge an der Ostgrenze
Das Grenzwachtkorps (GWK) ist nach den Worten seines Chefs, Jürg Noth, bereit, falls mehr Flüchtlinge an der Ostgrenze in die Schweiz kommen wollen. Eine Zunahme an der Ostgrenze ist bereits bemerkbar, wie er der «Schweiz am Sonntag» erklärte. Deshalb soll der Grenzschutz dort verstärkt werden.
Derzeit spüre vor allem Deutschland, dass Österreich die Flüchtlinge praktisch ohne Kontrolle weiterfahren lasse, fährt Noth fort. Die hohen Asylzahlen in Deutschland erklärt er damit, dass dort schon viele Landsleute von syrischen Flüchtlinge wohnen und Leute aus dem Balkan weniger rasch ausgeschafft würden. Finanziell biete Deutschland zudem «am meisten».
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Wöchentlich 500 neue Flüchtlinge im Tessin
Allerdings könne sich die Situation schlagartig ändern, etwa aufgrund von Gerüchten, sagte Noth weiter. «Dann sind sehr grosse Gruppen auch an unserer Grenze möglich.» Derzeit sei der «Hauptdruck» nach wie vor im Tessin, «mit bis zu 500 neuen Flüchtlingen pro Woche».
Eine Zunahme im Osten sei aber feststellbar. In Buchs (SG), wo Flüchtlinge auf der Balkanroute ankommen, sind laut Noth allein im August 709 Personen wegen rechtswidrigem Aufenthalt registriert worden. Im Juli seien es erst 289 Personen gewesen.
Hunderte neue GWK-Stellen nötig
«Wir sind bereit, wenn es eskaliert», sagte Noth. «Wir planen in Buchs und im Rheintal Verstärkungen.» Dafür müssten allerdings anderswo Abstriche gemacht werden, etwa an der Nordgrenze. Auf die Frage, ob Einkaufstouristen nicht mehr kontrolliert würden, sagte er: «Wir haben sicher nicht mehr die Möglichkeiten, zu schauen, ob einer zu viel Salami oder Grappa über die Grenze nimmt.»
Noth forderte deshalb erneut mehr Personal für das Grenzwachtkorps. Der Bundesrat habe zuletzt 48 Zusatzstellen bewilligt. Diese Leute würden nun rekrutiert und in die Ausbildung geschickt. «Das dauert drei Jahre.» Angesichts der Migrationswelle wären laut Noth nun 200 oder 300 neue Stellen nötig.
Keine Alternative für Schengen
Trotz Kritik am Schengen/Dublin-Abkommen sieht Noth «keine Alternativen» dafür. «Das Migrationsproblem lässt sich nur international angehen», sagte er.
Er verteidigte zudem, dass die Schweiz die Regeln einhält und Flüchtlinge nicht einfach nach Deutschland weiterreisen lässt - selbst wenn Italien und Österreich ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. «Wir arbeiten mit Frankreich und Deutschland sehr gut zusammen.» Diese Zusammenarbeit solle nicht gefährdet werden.
«Das Dublin-System ist gescheitert»
Mit Blick auf das Dublin-System kommt der ehemalige Chef des Bundesamtes für Migration, Alard du Bois-Reymond, zu einem ganz anderen Urteil. Im «SonntagsBlick» fordert er: «Die Politik müsste zugeben: Das Dublin-System, wonach Flüchtlinge in jenem Land registriert werden und bleiben sollen, in dem sie ankommen, ist gescheitert.»
Wir müssten allen Flüchtlingen aus Syrien und Eritrea Schutz bieten
In einer Krise wie jetzt brauche es unkonventionelle Ideen, meint du Bois-Reymond: «Wir müssten allen Flüchtlingen aus Syrien und Eritrea Schutz bieten». Denn heute versuche man in einem komplizierten Verfahren, bei jedem Einzelnen zu unterscheiden, ob jemand wirklich verfolgt wurde oder ob er aus wirtschaftlichen Gründen kommt. «Doch angesichts einer derart umfassenden Kriegssituation, wie sie in Syrien herrscht, ist ein solches Verfahren eine Illusion und unnötig», betont er.
Für Eritrea gelte das Gleiche, «auch diesen Leuten muss man vorübergehend Schutz gewähren», meint du Bois-Reymond, der von Januar 2010 bis Dezember 2011 Chef des Bundesamtes war.