Für den Botschafter des mächtigsten Landes der Welt ist die Eidgenossenschaft ein Nichts in einem Süssgebäck: «Die Nato ist gewissermassen ein Donut – und die Schweiz das Loch in der Mitte», sagte Scott Miller, der Vertreter der USA in Bern, am Donnerstag der NZZ.
Die undiplomatische Wortwahl ist nicht allein dem Umstand geschuldet, dass Miller von Präsident Joe Biden als Quereinsteiger in die Diplomatie berufen wurde. Sie ist Ausdruck eines Imageproblems der Schweiz, aber auch wachsender Nervosität innerhalb der westlichen Allianz unter Führung der USA.
Die Kritik an der Schweiz wird schriller
Im Krieg Russlands gegen die Ukraine ist kein Ende absehbar, weder auf den Schlachtfeldern noch an irgendeinem Verhandlungstisch. Deshalb sind die USA als westliche Führungsmacht bestrebt, weitere Länder auf Kurs zu bringen: mit Sanktionen gegen den Angreifer Russland und mit Unterstützung für das Angriffsziel Ukraine – einschliesslich Waffen.
Damit ist die Nato, vor kurzem noch als «überflüssig» und «hirntot» verschrien, unverhofft wieder zum wichtigsten westlichen Bündnis geworden – quasi zum sicherheitspolitischen Donut.
Und innerhalb der Nato stören sich nicht nur die USA daran, dass die Schweiz keine Erlaubnis erteilt für die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial, das sie vor Jahren an Nato-Staaten verkauft hat. Beanstandungen kamen zum Beispiel von der spanischen Verteidigungsministerin Margarita Robles oder vom deutschen Vizekanzler Robert Habeck.
Die Schweiz übernehme die westlichen Sanktionen nur ungenügend, kritisierte ferner das deutsche Magazin «Spiegel», und mache sich so zum «willigen Helfer» Putins. Der Schweizer Botschafter in Berlin, Paul Seger, widersprach dieser Darstellung in einem Gastbeitrag. Doch der Imageschaden war angerichtet.
Keine süssen Aussichten
Der Loch-im-Donut-Vergleich steht aber noch für einen weiteren Vorwurf, der seit Beginn der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine lauter geworden ist: Die 30 Nato-Staaten sorgten mit ihren 3.3 Millionen Soldatinnen und Soldaten für Sicherheit in ganz Europa – und Staaten, die sich daran nicht beteiligten, seien Trittbrettfahrer.
Zumal die Welt wieder von zwei Machtblöcken dominiert wird: Auf der einen Seite die USA mit den Nato- und anderen Verbündeten, auf der anderen Seite Russland, China und zugewandte Staaten.
Erinnerungen werden wach an den Kalten Krieg von 1947 bis 1991, als die Schweiz schon einmal ihren Platz finden musste: zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten, zwischen den USA und der Sowjetunion. Der Schweiz gelang es damals erfolgreich, sich ideologisch nach Westen zu orientieren, ohne die Neutralität aufzugeben.
Doch der neue Kalte Krieg nimmt gerade erst Formen an, und mitten in Europa, in der Ukraine, tobt ein heisser Krieg, der bereits Zehntausende, möglicherweise Hunderttausende Menschenleben gekostet hat.
Sich der Kritik von West und Ost zu entziehen und das eigene Image zu pflegen, ist für die Schweiz zur wenig süssen Aufgabe geworden.