Mit 104 zu 82 Stimmen bei 5 Enthaltungen hat sich der Nationalrat für die Solidarhaftung in der Baubranche ausgesprochen. Damit ist er dem Ständerat gefolgt. Auch der Bundesrat hatte sich für diese «Mittelvariante II» ausgesprochen. Eine bürgerliche Minderheit hatte eine mildere Variante favorisiert, bei der sich der Erstunternehmer durch einen einfachen Vertrag von der Haftung befreien könnte.
«Die vielen aufgedeckten Fälle sprechen eine deutliche Sprache», sagt Kommissionssprecher Corrado Pardini (SP/BE). Es sei höchste Zeit, für Ordnung im Stall zu sorgen.
Die Solidarhaftung – die auch von einer Mehrheit des Ständerates befürwortet worden ist – sei kein Experiment, sondern in anderen Ländern bereits erfolgreich umgesetzt. Viele einheimische Arbeitnehmer und Gewerbetreibende sähen sich einer Billigkonkurrenz aus dem Ausland ausgesetzt. «Nimmt Lohndumping zu, können sich ausländerfeindliche Tendenzen entwickeln», warnt Pardini. Damit sei auch die Personenfreizügigkeit in Gefahr. Deshalb brauche es nun glaubwürdige Lösungen.
«Wer die hiesigen Arbeitsbedingungen einhält, darf daraus keine Nachteile haben», sagt auch Louis Schelbert (ZG), Fraktionssprecher für die Grünen. Betrüger seien erfinderisch, der Vollzug müsse deshalb immer wieder überprüft und das Instrumentarium den neuen Entwicklungen angepasst werden.
Die SVP und die FDP äusserten sich kritisch zur Solidarhaftung. «Es ist eine Illusion zu meinen, mit der Solidarhaftung wären plötzlich alle Probleme beseitigt», sagt Ruedi Noser (FDP/ZH). Das es Lohndumping gebe, bestreite er nicht, doch das Problem liege vielmehr in der Umsetzung des Vollzugs.
Ein ganzes Geflecht von Subunternehmen
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann gestand Probleme im Vollzug zu, wies jedoch auf laufende Verbesserungen hin. Er habe sich die Problemfälle schildern lassen und mit Erstaunen zur Kenntnis genommen, wieviel Phantasie mit im Spiel sei. Das Durchführen von Kontrollen und das Durchsetzen der Löhne würden auch deshalb schwieriger, weil in einem ganzen Geflecht von Subunternehmern der verantwortliche Arbeitgeber oft kaum mehr ausfindig gemacht werden könne. «Solchen Missständen müssen wir mit der Solidarhaftung einen Riegel vorschieben.»
Ein Minderheitsantrag verlangte anstelle der Solidarhaftung, dass jeder Unternehmer seinen nächsten Subunternehmer in einem schriftlichen Vertrag auf die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsbedingungen verpflichtet. Er wurde abgelehnt.
Zusätzlich zum Ständerat verlangt die grosse Kammer, dass der Bundesrat die Wirkung und die Kosten der Solidarhaftung spätestens in fünf Jahren gegenüberstellt. Das Geschäft geht zurück an den Ständerat.
«Seriöse Firmen mit Schleuderpreisen ausstechen»
Zu den Befürwortern der Solidarhaftung gehören die Gewerkschaft Unia als auch Vertreter des Ausbau-Gewerbes wie etwa die Metall-Union oder der Plattenverband. «Dann würde es sich jedes Unternehmen zweimal überlegen, bevor es einen dubiosen Subunternehmer bevorzugt, der die seriösen Firmen mit Schleuderpreisen aussticht», schreibt die Unia.
Die Befürworter argumentieren mit der Personenfreizügigkeit: Ohne Schutzmassnahmen gegen Lohndumping sei auch die Personenfreizügigkeit mit der EU für die Arbeitnehmer nicht mehr haltbar.
«Solidarhaftung greift nicht»
Der Baumeisterverband spricht hingegen von einer Kriminalisierung der ganzen Branche. Die Solidarhaftung bleibe eine Alibi-Übung. Bis Gerichte entschieden hätten, sei der betrogene Arbeitnehmer längst wieder zu Hause und gehe leer aus. Hinzu komme ein enormer bürokratischer Aufwand für die Firmen, um die Subunternehmen zu kontrollieren.