Mit ihrer Vorlage der Liste unnötiger Behandlungen verbanden die Allgemeinmediziner eine Idee: Andere medizinische Berufsgruppen sollen nachziehen und eine eigene Liste in ihrem Fachgebiet erarbeiten. Passiert ist seither allerdings kaum etwas, wie Recherchen von SRF News ergaben.
Keine Antibiotika bei einfachen Infekten der oberen Luftwege, kein Röntgen bei leichten Rückenschmerzen. Das sind zwei der fünf Behandlungen, die es grundsätzlich zu vermeiden gilt.
Seit zwei Jahren nichts passiert
Die so genannte «Top-Five-Liste» der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) sollte nur der Anfang sein: Nach dem Vorbild der Hausärzte sollten auch andere Berufsgruppen wie die Chirurgen oder Kardiologen eigene Listen erarbeiten.
Das war vor knapp zwei Jahren. Passiert ist seither nichts, wie Hermann Amstad von der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften ernüchtert feststellt: «Da haben vielleicht die ärztlichen Fachgesellschaften ihre Hausaufgaben nicht gemacht».
Drei Gründe für Passivität
Die Akademie der medizinischen Wissenschaften wollte deshalb wissen, warum die Spezialärzte passiv geblieben sind. Die Umfrage zeigte drei Gründe: «Erstens ist die Erstellung einer solchen Liste durchaus mit einem gewissen Aufwand verbunden. Zweitens ist es so, dass möglicherweise gewisse Ängste bestehen, wie die Patienten auf eine solche Liste reagieren würden. Und drittens besteht möglicherweise auch eine gewisse Angst bezüglich Einkommenseinbussen.»
Verzicht auf Einnahmen
Denn führen Ärzte an sich unnötige Behandlungen tatsächlich nicht durch, verzichten sie auch auf Einnahmen. Der Dachverband der Schweizer Chirurgen fürchtet den Druck der Krankenkassen, wie Generalsekretär Markus Trutmann erklärt: «Tatsächlich könnte die Frage auftauchen, ob man diese Top-Five-Leistungen überhaupt noch vergüten muss.»
Bis jetzt ist es nur eine Empfehlung, auf Behandlungen zu verzichten, die auf der Top-Five-Liste stehen. Aber die Krankenkassen wünschen sich tatsächlich mehr Verbindlichkeit. Verena Nold, Direktorin des Krankenkassenverbandes santésuisse, ist ob der Zurückhaltung der Spezialärzte nicht überrascht: «Heute können die Ärzte abrechnen, was sie wollen. Je mehr sie abrechnen, desto mehr verdienen sie.» Die Anreize seien also so gesetzt, dass man nicht das möglichst Notwendige, sondern möglichst viel mache. Und damit auch mehr verdiene, so Nold.
Frage der Verbindlichkeit
Zudem stelle sich die Frage, wie verbindlich eine solche Liste sein soll. Kinderarzt Jan Teller bringt das Beispiel Hustensaft für Kinder aufs Tapet. So sei es zwar eigentlich erwiesen, dass Hustensaft die Kinder nicht schneller gesund mache: «Es gibt aber Ärzte und Patienten, die einen positiven Effekt sehen. Deshalb wäre es schwierig den Gebrauch von Hustensirup generell vorzuenthalten.»
Trotz Widerstand verspricht sich die Akademie der medizinischen Wissenschaften mehr Qualität von solchen Top-Five-Listen. Denn Überversorgung kann auch schädlich sein
Listen aus den USA übernehmen?
Deshalb unternimmt sie jetzt einen neuen Versuch, die Spezialärzte zu überzeugen: Sie sollen prüfen, ob sie die entsprechenden Top-5-Listen aus den USA übernehmen könnten. Denn dort ist die Diskussion über die medizinische Überversorgung bereits weiter als in der Schweiz.