Die zwei markanten Wahrzeichen der Stadt Thun stehen friedlich auf einem Hügel: das Schloss mit seinen vier Türmen und die Stadtkirche. Im Hügel drin herrscht jedoch ohrenbetäubender Lärm. Eine 130-Tonnen Bergbaumaschine frisst sich seit einigen Wochen durch den Schlossberg. Bis 2018 entsteht hier ein unterirdisches Parkhaus für 300 Autos – für Schweizer Verhältnisse ein grosses Parkhaus.
Andreas Maurer, ausgerüstet mit gelben Stiefeln und Helm, beobachtet das Ungetüm auf der Baustelle. Er ist Geschäftsführer der Parkhaus Thun AG, die im Auftrag der Stadt im Schlossberg baut. «Die Idee ist ganz klar, dass man den motorisierten Individualverkehr möglichst nah an die Stadt, aber nicht in die Stadt heranführen möchte», erklärt er. «Und das bedingt, dass man entsprechende Parkiermöglichkeiten schafft.»
Konkurrenz zu Einkaufszentren auf dem Land
Aus diesem Grund baut die Stadt Thun gleich zwei neue Parkhäuser. Sobald diese fertig sind, werden in der Innenstadt bestehende Parkplätze aufgehoben. So soll die Innenstadt attraktiver werden – auch gegenüber den grossen Einkaufszentren am Rand der Stadt: «Mit dem Bauen von Einkaufzentren auf der grünen Wiese, die zudem noch meist günstig, wenn nicht gar gratis Parkplätze anbieten, geraten die Innenstädte ins Hintertreffen», befürchtet Maurer. «Mit diesen Parkhäusern wollen wir Gegensteuer geben.» Deshalb wird jetzt der Berg ausgehöhlt.
In den letzten Jahren war die Bautätigkeit in den kleinen und mittleren Zentren etwas grösser.
Weit weg von Lärm, Staub und Schlamm sitzt Alain Chaney in seinem Büro. Er ist der Geschäftsführer von Wüest & Partner in Bern, einem Beratungsunternehmen für Immobilien und Raumentwicklung, und er hat die wenigen verfügbaren Daten über Parkhäuser ausgewertet. Thun ist kein Einzelfall, wie er weiss: «Regional sieht man, dass in den letzten Jahren vor allem in den kleinen und mittleren Zentren die Bautätigkeit etwas grösser war als in den Grosszentren.»
Vor allem weil es in kleineren Städten verhältnismässig einfacher ist als in Grossstädten, Platz für ein neues Parkhaus zu finden. Wüest & Partner schätzt, dass es heute in der Schweiz bis zu 1500 öffentlich zugängliche Parkhäuser gibt.
Blütezeit des Parkhausbaus vor 40-50 Jahren
Viele davon wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren gebaut. Das war die grosse Zeit der Parkhäuser: Innerhalb weniger Jahre hatte sich damals die Zahl der Autos verdoppelt und der Raum wurde knapp. So begann man in den Städten, die Fahrzeuge zu stapeln. Auch in Thun: Anfang der 1970er-Jahre wurde das erste Parkhaus in Betrieb genommen, später kam ein weiteres hinzu.
Beide Parkhäuser werfen seither Jahr für Jahr Gewinn ab. Und das gelte für viele bestehende Parkhäuser, sagt Chaney: «Sie haben einfach eine wertvollere Ressource. Wenn sie ein Parkhaus an einer zentralen Lage haben, ist das sehr schwer zu kopieren und dadurch auch eine Art lokale Monopolstellung, die es ermöglicht, anständige Erträge zu erzielen.»
Für die einen ist das Projekt ein Ding des Teufels, für die anderen ein Segen.
Anständige Erträge – das bedeutet eine jährliche Rendite von rund 4,5 Prozent. Diese ist vergleichbar mit vermieteten Büros, aber kleiner als bei Wohnungen. Auch in Thun haben die Autofahrer in all den Jahren Geld fürs Parkieren bezahlt – soviel, dass die Gewinne jetzt für zwei neue Parkhäuser reichen: 42 Millionen Franken kostet alleine das unterirdische Parkhaus im Schlossberg. Das ist viel Geld für 300 Parkplätze; auch im Vergleich zu anderen, neuen Parkhäusern in der Schweiz.
Schlossbergparking in Thun: Fluch oder Segen?
Teuer macht es vor allem Bergbauverfahren. Das Geld aus der eigenen Kasse hat es mitunter möglich gemacht, das politisch umstrittene Projekt zu realisieren. Bereits 1965 gab es die erste Idee für eine Autoeinstellhalle im Schlossberg – bis zum knappen Ja an der Urne hat es allerdings fast ein halbes Jahrhundert gedauert.
Maurer von der Parkhaus Thun AG hat in all den Jahren beobachtet: «Für die einen ist das Projekt ein Ding des Teufels, für die anderen ein Segen und eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Stadt überhaupt florieren und überleben kann.»