Mietwucher, Lohnungleichheit, Abzockerei – diese Themen beherrschten den diesjährigen 1. Mai in der Schweiz. In Biel warb SP-Bundesrat Alain Berset für sein Reformprojekt Altersvorsorge 2020, mit dem der Bundesrat eine gesamtheitliche Lösung für die AHV und die berufliche Vorsorge anstrebt. «Wir betrachten die Altersvorsorge mit der ersten und der zweiten Säule als ein Ganzes», sagte Berset.
Der Innenminister geht davon aus, dass die Menschen eine solche Gesamtschau wünschen, um die Höhe ihrer Altersrente zu erfahren und sich so für die Zukunft absichern können. Bei der Reform stehen unter anderem eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre und eine Senkung des BVG-Umwandlungssatzes zur Diskussion.
Wut am Mikrofon
Den Gewerkschaftlern an den Rednerpulten brannten die aktuellen Lohnfragen und -ungerechtigkeiten unter den Nägeln. «Es macht mich wütend, wie sich ein paar wenige immer mehr nehmen und von den Bürgerlichen mit Steuergeschenken überhäuft werden. Es macht mich sprachlos, mit welcher arroganten Selbstverständlichkeit sie dies tun. Und es empört mich, dass sie sich auf Kosten von uns allen bereichern», sagte die Tessiner SP-Nationalrätin Marina Carobbio in Zürich.
In Zürich arbeiteten gelernte Verkäuferinnen für 2800 Franken netto pro Monat, und ein Angestellter der Uhrenindustrie im Tessin erhalte 2900 Franken, so Carobbio. Das sei gerade mal so viel, wie der CS-Konzernchef Brady Dougan in fünf Minuten verdiene.
Dass dies keine Einzelfälle sind, machte SP-Ständerat Paul Rechsteiner in Basel klar: «440'000 Menschen in der reichen Schweiz verdienen zu wenig, um davon anständig leben zu können. 140'000 davon haben einen Lehrabschluss. Wie weit sind wir gekommen, wenn eine Lehre keine Garantie mehr dafür ist, dass man genug für ein anständiges Leben verdient?», fragte der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) die Menge.
Werbetag für linke Initiativen
Als Rezept präsentierten die Redner die drei Initiativen 1:12, für Mindestlöhne und AHVplus. Nach ihrer Darstellung kann nur damit eine Wende in der Lohn- und Einkommenspolitik, eine gerechte Verteilung der Löhne und Einkommen erreicht werden.
Die Gewerkschaften müssten Gegensteuer geben, bevor es zu spät sei, sagte Giorgio Tuti, Präsident der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV) in Schaffhausen. Der Tag der Arbeit sei aktueller denn je. Man brauche dafür nur die Entwicklungen in Europa zu verfolgen.
Abzocker am Pranger
In Spiez geisselte der Berner SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini neoliberale Kräfte in der FDP und der SVP als «Ewiggestrige» und als «Anhänger einer toten Religion». Diese mächtigen Gruppen wollten den Service public zerstören, denn dann müsste das Volk diese Leistungen bei privaten Unternehmen einkaufen und sehr teuer dafür zahlen.
Pardini forderte auch ein stärkeres Engagement für den Werkplatz Schweiz. Der Bundesrat schütze allein den Finanzplatz. Doch nicht die Banken brächten das Land vorwärts, sondern der Werkplatz Schweiz.
Starke Polizeipräsenz in Zürich
Die grösste 1. Mai-Kundgebung fand in Zürich statt. Hier gingen rund 13'000 auf die Strasse. Bis zum frühen Abend verlief die Maifeier in Zürich friedlich. Danach kam es beim Helvetiaplatz zu vereinzelten Provokationen, auf welche die Polizei nicht reagierte.
Stadt- und Kantonspolizei sind mit einem grösseren Aufgebot in der Innenstadt präsent. Bereits im Vorfeld hatte die Polizei klar gemacht, dass sie Nachdemos und Ausschreitungen im Keim ersticken werde.
Dem Umzug in Zürich hatten sich auch rund 300 Aktivisten der linksautonomen Szene angeschlossen, angeführt von der Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher, dem 1. Mai-Umzug angeschlossen. Viele von ihnen waren entweder vermummt oder trugen Masken, die an UBS-Chef Sergio Ermotti oder Schauspieler George Clooney erinnerten. Bei der Polizeihauptwache Urania bewarfen sie Polizisten mit Wasserballons und feuerten Knallpetarden ab.