Staatssekretär Yves Rossier raucht im Büro am offenen Fenster eine Zigarette – die meisten seiner Mitarbeiter sind in den Ferien. Noch bis Ende Juli ist er ständig in Kontakt mit der EU-Zentrale in Brüssel. Erst dann beginnen dort die Sommerferien. Rossier verhandelt über die Basis der künftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU; eine Herkulesaufgabe.
Der Bundesrat hat den Rahmen festgelegt: Erstens übernimmt die Schweiz neues EU-Recht noch selbstverständlicher als heute, wenn auch nicht automatisch. Zweitens darf der Gerichtshof der EU mitreden, wenn sich die Schweiz und die EU nicht einig sind. Drittens gibt es neue bilaterale Abkommen, etwa zum Thema Strom oder Forschung.
Ich bin eher optimistisch – aber es wird noch einige Zeit dauern.
Noch steht man ganz am Anfang der Verhandlungsphase. Da gibt es viel Handlungsspielraum und viele Spekulationen, auch in den Medien. «An einem Sonntag erfahre ich, dass es eine unmögliche Situation sei, am nächsten Sonntag seht in der Presse, es gebe einen Durchbruch, der aber geheim gehalten werde», sagt Rossier leicht genervt.
Tatsächlich sei die Lage weder hoffnungslos, noch stehe der Durchbruch unmittelbar bevor. Zum genauen Stand der Dinge äussert sich der Diplomat mit der spitzen Zunge aber natürlich nicht. Seine Einschätzung bleibt allgemein: «Ich bin eher optimistisch – aber es wird noch einige Zeit dauern, es sind eher schwierige Verhandlungen.» In den kommenden zwölf Monaten werde kaum ein definitives Ergebnis vorliegen, glaubt Rossier.
Sonderfall Schweiz braucht eine Sonderlösung
Das strikte Verhandlungsmandat der EU ist bekannt. Die Union will, dass die Schweiz sämtliches EU-Recht übernimmt, auch rückwirkend. Die EU-Kommission soll überwachen, dass die Schweiz das gemeinsame Recht korrekt auslegt und der EU-Gerichtshof soll ausnahmslos die oberste Instanz in Streitfällen sein. Chefunterhändler Rossier betont, dies sei eine Ausgangsposition, eine Maximalforderung der EU, wie sie für Mitgliedstaaten gelte.
Rossier ist aber überzeugt, dass es für den Sonderfall Schweiz Sonderregelungen braucht: «Entweder redet man mit, dann trägt man alle Entscheide mit. Oder wie im Fall der Schweiz: Wir reden nicht mit – also kann die Lösung nicht die gleiche sein.»
Viel wird derzeit spekuliert, was passieren würde, wenn sich die Schweiz dereinst nicht an ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs halten würde. Auch Rossier kann diese Frage nicht beantworten. Im schlimmsten Fall würden bilaterale Verträge hinfällig, das dementiert Rossier nicht. Die EU sei in einer starken Position: «Die Beziehungen zu den EU-Mitgliedstaaten ist für uns wesentlicher und existenzieller ist als für die Mehrheit der EU-Staaten.» Doch verhandelt werde ja, weil beide Parteien eine Einigung wollten.
Provisorische Lösung für Forschungsprojekte
Seit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative am 9. Februar ist die Lage für Rossier noch ungemütlicher. Denn nun muss die Schweiz parallel auch noch über die Personenfreizügigkeit verhandeln. Frühestens Ende Jahr werde man damit beginnen, sagt der Chef-Unterhändler. Bis dahin könne man in allen anderen Dossiers durchaus etwas erreichen. Zum Beweis erwähnt er, dass eine Lösung für Schweizer Forscher, die sich an EU-Projekten beteiligen wollen, in Sicht sei. Allerdings werde dies eine provisorische Lösung sein bis zur Einigung beim Thema Personenfreizügigkeit.
Bis dahin wird vieles anders sein in der EU. Ende dieses Jahres übernehmen die neuen Kommissionsmitglieder und mit ihnen zahlreiche neue Beamte das Steuer in Brüssel. Allerdings sind für Rossier die Köpfe nicht entscheidend. Ihr Einfluss sei höchstens marginal. Denn das Mandat steht und die Verhandlungen laufen.
Eine ganz andere Frage ist, ob das Schweizer Stimmvolk das Verhandlungsergebnis dereinst goutieren wird.