Ein Jahr nach Annahme der Masseneinwanderungs-Initiative der SVP steckt der Bundesrat noch immer in der gleichen Zwickmühle: Er muss eine Beschränkung der Zuwanderung umsetzen. Damit läuft er aber Gefahr, die Personenfreizügigkeit anzukratzen. Und genau das kommt für die Europäische Union nicht in Frage.
Für Dieter Freiburghaus, emeritierter Professor für europäische Studien an der Universität Lausanne, ist klar: «Die EU hat da ganz wenig Spielraum und wird der Schweiz kaum entgegenkommen können.» Es sei deshalb auch logisch, dass sich am Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU nichts geändert habe.
«Die Schweiz muss sich bewegen, und nicht die EU», ist er überzeugt. Nach dem Ja zur SVP-Initiative sei die extremere Ecopop-Initiative zwar abgelehnt worden. «Das zeigt, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer nicht völlig isolieren wollen.» Dennoch geht Freiburghaus von Spannungen innerhalb der Landesregierung aus: «Der Bundesrat weiss eigentlich nicht mehr weiter.»
Zielkonflikt schon im Wortlaut der Initiative
Das Forum Ausseinpolitik, kurz «Foraus», ist eine Denkfabrik, welche Studierende vor fünf Jahren gegründet haben. Sie legt ein Jahr nach der Abstimmung ein Diskussionspapier zum Thema Zuwanderungsinitiative vor. Philipp Lutz, Leiter des Bereichs Migration, hat darin verschiedene Umsetzungsvorschläge analysiert.
Dabei habe er festgestellt, dass sich bereits im Wortlaut der Vorlage ein Dilemma offenbare. Einerseits würden Kontingente und ein Inländervorrang gefordert – «also ein staatlicher Eingriff in den Arbeitsmarkt», so Lutz. Andererseits heisse es, dass dabei die wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt werden sollen. Das sei ein Zielkonflikt. «Es gibt keine optimale Lösung im Sinn der Initiative», lautet sein Fazit.
Aus österreichischer Sicht ein «Schuss ins Knie»
Dass das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU weiterhin ungeklärt ist, ist nicht nur der Eindruck im eigenen Land. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch unsere Nachbarn. So hatte die österreichische Tageszeitung «Der Standard» das Ja zur Abstimmung vom 9. Februar 2014 als «Schuss ins eigene Knie» betitelt.
«Standard»-Chefredaktorin Alexandra Föderl sieht ein Jahr danach mehr offene Fragen als Antworten. In Österreich sei der Entscheid zum Beispiel unter Studierenden ein Thema. Sie wollen wissen: «Kann ich jetzt überhaupt noch in die Schweiz gehen? Nehmen die noch an Erasmus teil?» Auch Ärzte würden sich den Wechsel in die Schweiz nun gut überlegen.
Die Journalistin aus Wien hat kürzlich am Weltwirtschaftsforum in Davos teilgenommen. Was die Schweizer Wirtschaft angehe, ist ihrer Ansicht nach schon vor der Aufgabe des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank klar gewesen: «Die Integration der Schweiz in Europa ist stärker, als man das in weiten Teilen der Schweiz wahrhaben möchte.»