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Schweiz Umstrittene Erziehung auf dem Jugendschiff

Auf hoher See sollen schwer erziehbare Jugendliche wieder auf den richtigen Kurs gebracht werden. Das Kalkül geht bei jedem zweiten Jugendlichen auf. Dennoch will das Berner Jugendamt das Projekt stoppen – wegen rechtlicher Risiken.

Stefan Schumann hat fast die Hälfte seines bisherigen Lebens in Heimen verbracht. Er ist 16 Jahre alt. Immer wieder haute er aus den Heimen ab. Er konsumierte Drogen und war gewalttätig.

Im letzten Jahr wurde er auf das Jugendschiff geschickt, einem Projekt der Stiftung Jugendschiffe Schweiz. Es ist für Jugendliche wie ihn die letzte Chance, bevor er in die geschlossene Anstalt muss. «Mit der Zeit lernte ich, dass ich nicht davonlaufen kann – auch nicht davonschwimmen», sagt Schumann zu «Schweiz aktuell».

«Jugendliche brauchen harte Linie»

Das Konzept der Stiftung Jugendschiffe Schweiz bedeute, dass die Jugendlichen lernen, dass sie für ihr Leben verantwortlich seien und daran arbeiten müssten, sagt der Co-Geschäftsleiter der Stiftung, Mario Schmidli. Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahre verbringen bis zu einem Jahr auf dem Schiff, das die Azoren, die Karibik oder die Bermuda anfährt.

Wie eine Reportage des Schweizer Fernsehens vor ein paar Jahren zeigte, ist der Aufenthalt auf dem Schiff keine Kuscheltherapie. Jugendliche, die sich nicht einfügen wollen, werden klar zurechtgewiesen. «Die Jugendlichen brauchen eine gewisse harte Linie, eine Struktur, weil das die Gesellschaft nicht vorgibt», sagt Mario Schmidli.

«Drill» auf dem Schiff ist umstritten

Das Berner Jugendamt will das Projekt nun auslaufen lassen und ihm nach dem Jahr 2016 keine Bewilligung mehr erteilen. Allerdings nicht wegen der Kosten von 150‘000 Franken pro Klient und Jahr.

Es gebe vielmehr rechtliche und pädagogische Risiken, sagt Andrea Weik. «Wir können die Jugendlichen auf dem Jugendschiff nicht beaufsichtigen. Zudem gibt es dort keine Rückzugsmöglichkeiten, das bedeute massive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte», sagt Weik.

Sie fügt an, dass die Behörden bei einer Fehlplatzierung nicht schnell genug reagieren können. Auch der Drill auf dem Schiff sei umstritten, und es bestünden rechtliche Risiken, wenn Jugendliche im Ausland straffällig werden.

Jeder Zweite wird therapiert

Mario Schmidli von der Stiftung Jugendschiffe widerlegt gegenüber «Schweiz aktuell», viele der Kritikpunkte. Trotzdem sucht er nun Wege, wie er sein Schiff-Projekt weiterführen kann.

Nicht mehr in dieser Form, aber vielleicht in einem verkürzten Aufenthalt, bei dem die Jugendlichen noch maximal ein paar Monate auf dem Jugendschiff therapiert werden können.

Die Erfolgsquote der Jugendlichen auf dem Schiff liegt bei 50 Prozent. Dies ergibt eine Studie der Stiftung Jugendschiffe. So viele schafften den Wiedereinstieg in die Gesellschaft.

Therapie statt Gefängnis

Der 16jährige Stefan Schumann war eineinhalb Jahre auf dem Schiff, dann wurde er im vergangenen Juli in die Schweiz zurückgeholt, weil er laut Stiftung seine Ziele auf dem Schiff nicht erreichen konnte. Er wird nun in einem offeneren Setting weiterbetreut – es nennt sich «Betreutes Wohnen».

Mario Schmidli spricht von einem Erfolg von Stefans Schifftherapie: «Wenn er jetzt nicht mit uns weiterarbeiten würde, wäre er im Gefängnis oder in der geschlossenen Anstalt». Stefan selbst sagt, er habe nun ein Ziel. «Vor meinem Aufenthalt auf dem Schiff dachte ich, ich kann ja einfach Drogen verkaufen, nun möchte ich eine Lehre anfangen».

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