Die Sendung der «Rundschau» der letzten Woche sorgte auch in akademischen Kreisen für viel Gesprächsstoff. Die Kardinalsfrage ist, wie viel braucht es, um sich «Dr. med.» nennen zu können? Die Ansprüche sind in der Tat unterschiedlich.
Striktere Kontrolle an Uni Lausanne
Eine reine Transkription von alten medizinhistorischen Texten, wie dies offenbar an der Universität Zürich gemacht wird, um einen Doktortitel zu erhalten, reicht an anderen Unis nicht. So ist es an der Universität Lausanne üblich, dass nicht nur der Doktorvater die Arbeit kontrolliert, sondern auch eine ethische Kommission.
Stephanie Clarke, Direktorin der Doktorandenschule an der Uni Lausanne sagt in der «Rundschau» klar: «Mediziner brauchen nicht soviel Zeit wie andere für ihren Doktortitel. Aber: die wissenschaftliche Tiefe der Dissertation muss gleich hoch sein wie in anderen Disziplinen.»
Clarke fürchtet, dass unter dem Fall Mörgeli die Reputation des «Dr. med.» leidet. «Ich fürchte, dass es aufgrund dieser Fälle heisst, der Titel des ‹Dr. med.› lohne sich nicht. Aber dies ist nicht der Fall.»
Auch Uni Basel verlangt Eigenleistung
Auch der Rektor der Universität Basel, Antonio Loprieno verlangt eine Eigenleistung des Doktoranden. Loprieno hält gegenüber der «Rundschau» fest: «Eine substanzielle Eigenleistung muss auch bei medizinischen Dissertationen vorhanden sein. Sonst ist die Voraussetzung für einen Doktortitel nicht gegeben.»
Titularprofessor Christoph Mörgeli rechtfertigt sein Vorgehen: Er sei seit 28 Jahren unterwegs, um sein Fach zu rechtfertigen, weil Kliniker und Forscher wenig Verständnis hätten. Das medizinhistorische Fach sei eine Schnittstelle zwischen Medizin und Geisteswissenschaft. Die verantwortlichen Vorgesetzten von Christoph Mörgeli äussern sich gegenüber der «Rundschau» nicht.
Mörgeli-Dissertationen: «Ich bin erstaunt»
Eine Dissertation soll einen Arzt befähigen, auch später wissenschaftliche Erkenntnisse und Arbeiten interpretieren zu können, fordert Peter Suter, Vizepräsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften auf dem Stuhl in der «Rundschau». Er schaute sich die von Christoph Mörgeli durchgewunkenen Doktorarbeiten an. Suter: «Es erstaunt, wie viel Zeit die Doktoranden bei den Arbeiten auf die Transkription verwendet haben, wie wenig Zeit dagegen für die Analyse und die Schlussfolgerungen.»
Der ehemalige Präsident der Ärztevereinigung FMH, Jacques de Haller, befürchtet zudem einen Reputationsverlust der Mediziner. Es gehe um die Qualität in der Medizin.
Die Schweizer Unis wollen Dissertationen nun breiter abstützen, erklärt wieder Loprieno, der auch Präsident der Rektoren-Konferenz ist. Künftig sollten viel mehr Gremien darauf achten, ob eine richtige Zusammenarbeit auf akademischer und moralischer Ebene entstehe.
Die Qualitätsunterschiede der Qualität von Doktorarbeiten sind gross innerhalb der Fakultäten, aber auch ausserhalb und im Ausland. Es stellt sich somit die Frage, ob man die Doktorarbeit ganz abschaffen will. An und für sich sei eine seriös durchgeführte Doktorarbeit nützlich, erklärt Suter. Sie bringe dem Doktoranden und der Wissenschaft etwas. Aber: In vielen Ländern bestehe der Doktortitel als solches immer noch, aber ohne Doktorarbeit. In Österreich und Deutschland erhält der Student den Doktortitel mit dem Staatsexamen. Man müsse deshalb aufpassen, dass man die Schweizer Ärzte nicht benachteiligt, warnt Suter.