Nach den Übergriffen von Köln und anderen Städten in der Silvesternacht stellt sich auch in der Schweiz die Frage, wie den meist jungen Männern aus fremden Kulturkreisen unsere gesellschaftlichen Werte vermittelt werden können. Angesichts der massiven sexuellen Belästigungen von Frauen, mutmasslich durch Migranten, geht es vor allem darum, die bei uns in allen Bereichen gleichberechtigte Stellung der Frauen zu vermitteln.
«Das Beste ist es, ein positives Beispiel vorzuleben», sagt dazu der Jugendarbeiter Agron Ibraj. Er ist Leiter des Zürcher Jugendtreffs OJA im Kreis 4, in dem sich viele Jugendliche mit Migrationshintergrund regelmässig treffen.
SRF News: Welche Werte und Frauenbilder vermitteln Sie den Jugendlichen in ihrem Treff?
Agron Ibraj: Für uns ist wichtig, dass sich im Jugendtreff sowohl Jungs wie Mädchen wohlfühlen können. Wir wollen, dass ein respektvoller Umgang zwischen den Geschlechtern herrscht. Dafür setzen wir uns ein.
Die offene Jugendarbeit unterstützt die Jugendlichen, konfrontiert sie aber auch, wenn sie Regeln brechen. Gibt es konkrete Beispiele im Umgang der Jungs mit Frauen, oder wie sie über Frauen reden?
Wir machen die Erfahrung, dass die Jungs hier im Treff viel Raum einnehmen, laut sind und ihre Ideen umsetzen wollen. Auf die Bedürfnisse der Mädchen achten sie manchmal wenig. In solchen Fällen reagieren wir klar. Ausserdem versuchen wir, in unserem Team vorzuleben, wie wir uns das partnerschaftliche Verhältnis zwischen Frauen und Männern vorstellen. Die Diskussionen zwischen mir und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschehen stets auf der gleichen Augenhöhe. Die Jugendlichen bekommen das eins zu eins mit und das wirkt sich sicher positiv aus.
Wir ermöglichen den Jugendlichen vieles – aber wir haben auch strikte Regeln.
Wie reagieren Sie, wenn Jungen Mädchen im Jugendtreff als «Schlampe» bezeichnen oder mit anderen herabsetzenden Bezeichnungen traktieren?
Es kommt im Jugendtreff extrem selten vor, dass Jungs solche Begriffe verwenden. Ich denke, es hat sich herumgesprochen, wie unser Treff funktioniert: Wir sind für Jugendliche da und ermöglichen ihnen vieles. Doch wir haben auch Regeln, und die setzen wir strikt durch. Deshalb haben wir sehr wenige Jugendliche, die hier solche Wörter verwenden.
Junge Frauen in Zürich beklagen immer wieder, dass sie im Ausgang begrapscht und sexuell belästigt werden. Was ist Ihre Erfahrung: Hat sexuelle Belästigung in den letzten Jahren zugenommen?
Ich bin seit bald 18 Jahren in der Jugendarbeit tätig und habe das Gefühl, dass das schon immer so war. Durch die Medien und Sozialen Medien werden heute allerdings viel mehr Vorfälle bekannt, als früher; und das – etwa durch Facebook – auch viel rascher. Früher hatte man diese Möglichkeiten gar nicht, entsprechend hatte man in vielen Fällen nichts davon mitbekommen.
Wir sagen auch mal: So nicht!
Nach den Übergriffen in Köln wird davor gewarnt, junge Männer aus Afrika oder aus arabischen Ländern unter Generalverdacht zu stellen. Trotzdem ist eine Debatte über das Thema notwendig. Deshalb die Frage: Neigen Jugendliche, die aus «Macho-Kulturen» stammen eher zu sexistischem Verhalten als andere Jugendliche?
Wir haben viele Jugendliche aus Pakistan, Afghanistan oder Irak, die bei uns verkehren. Bei ihnen beobachte ich genau das Gegenteil von dem, was man vielleicht erwarten würde. Sie sind extrem anständig und haben im Jugendtreff einen guten Umgang untereinander. Bei den Jugendlichen vom Balkan, die hier verkehren, bemerkt man dagegen schon ein gewisses Macho-Gehabe. So etwa, wenn es nach einer Veranstaltung darum geht aufzuräumen und abzuwaschen. Da haben die Jungs schon die Erwartung, das würden nun die Mädchen machen. Unsere Aufgabe in solchen Situationen besteht darin, ganz klar zu sagen: So nicht! Wir vermitteln und setzen auch durch, dass Veranstaltungen von Anfang an bis ganz zum Schluss gemeinsam über die Bühne gebracht werden. Da sind die Jungs genauso gefordert mitzuhelfen, wie die Mädchen.
Diese machoartigen Rollenbilder werden teils zuhause in der Familie vermittelt. Wie spricht man solch heikle Themen an?
Das ist ein Vorteil der Jugendarbeit: Die Jugendlichen sind uns gegenüber sehr offen und sprechen auch über Vorkommnisse in ihrer Familie. Wir nehmen darauf Bezug, sagen als Sozial- und Jugendarbeiter, was wir darüber denken. Wir versuchen aufzuzeigen, was die Normalität ist und machen zugleich klar, dass wir ein Verhalten, welches die Mädchen herabsetzt, von den Jugendlichen im Treff nicht tolerieren. Das führt auch zu Widerstand. Doch dies ist ein Bestandteil der Jugendarbeit. Es geht darum, Jugendliche mit ihren archaischen Rollenbildern zu konfrontieren und ihnen ein differenzierteres Bild zu vermitteln.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.