Der Arzt Reto Guetsch kennt das Schweizer Gesundheitssystem aus dem «Effeff». Er praktiziert seit Jahrzehnten und ist Vertrauensarzt beim Krankenkassenverband Santésuisse. Er ist überrascht, wie sehr sich der Gesundheitszustand der Bevölkerung seit der Einführung der Fallpauschale vor zwei Jahren verschlechtert hat.
«Doch solch rasche Verschiebungen in so kurzer Zeit, das kann ja kaum sein», meint Guetsch. Er vermutet deshalb, dass die Patienten in den Spitälern nur auf dem Papier immer kränker werden.
Die Zahl der Patienten mit Schlaganfällen nehme zu, gleichzeitig nehme die harmlosere Form der Streifung ab, weiss Guetsch. «Etwas Ähnliches beobachtet man bei den Blutvergiftungen, die deutlich zugenommen haben. Dafür haben Infektionen, etwa Lungenentzündungen, eher abgenommen.» Kein Wunder: Die meisten Infektionen sind leichter zu behandeln und entsprechend günstiger.
Grenzen des Möglichen ausgereizt
Guetsch und Santésuisse sprechen von einem deutlichen Trend. Diesen bestätigt auch der Gesundheitsökonom Stefan Felder von der Universität Basel: «Wenn sie einmal das System verstanden haben, können sie es ausnützen.»
Ab einem gewissen Punkt liessen sich aber keine höheren Pauschalen mehr erzielen. Das zeigten auch die Daten, so Felder: «Man beobachtet einen einmaligen Anstieg der Kosten. Und danach geht es nicht mehr so steil aufwärts wie vorher.»
Bernhard Wegmüller, Direktor des Spitalverbands H+, glaubt nicht, dass mit Hilfe des neuen Abrechnungssystems getrickst wird: «Erstens muss man nicht davon ausgehen, dass die Leute in den Spitälern grundsätzlich betrügen.»
«Spitäler machen seriöse Arbeit»
Und zweitens gebe es in der Schweiz ein Kontrollsystem, so Wegmüller. «Jedes Spital muss sich jährlich revidieren lassen, ob ihre Angaben mit den medizinischen Dokumenten der Patienten übereinstimmen, und da stellen wir keine Probleme fest.» Auf Nachfrage schränkt Wegmüller ein: «Es gibt in Einzelfällen Abweichungen. Aber übers Ganze gesehen, machen die Spitäler eine sehr seriöse Arbeit.»
Klar ist: Die Spitalkosten sind gemäss Santésuisse mit dem neuen System der Fallpauschalen um über zehn Prozent angestiegen. Noch können die Krankenkassen nicht genau beziffern, wie stark Tricksereien Schuld daran sind. Spezialisten suchen nach auffälligen Spitälern. Und klar ist auch, dass sich die Krankenkassenprämien weiter verteuern werden.