SRF News: Kritisiert wird, dass das Verfahren zwölf Jahre gedauert hat.
Alexander Grass: Diese Kritik ist berechtigt, das hat der Vorsitzende des Gerichts, Daniel Kipfer so gesagt. Das Verfahren hat viel zu lange gedauert, es ist ausgeufert. Die Bundesanwaltschaft habe an Nebenschauplätzen Zeit verloren, so zumindest sagt es der Richter. Eine andere, zentrale Kritik der Verteidigung hat er jedoch zurückgewiesen. Dass die Anklage von ursprünglich 10 Beschuldigten auf die Hauptfigur reduziert worden. Gegen die Mitbeschuldigten laufen weitere Strafverfahren und es sei statthaft, sagt der Richter, den Fokus auf die stärksten Tatvorwürfe zu legen, anstatt die Verjährung zu riskieren.
Die Verteidigung kritisiert auch, dass die verschiedenen Instanzen der Bundesstrafgerichtsbarkeit seien viel zu eng miteinander verbunden. Ist da etwas dran?
Der Richter hat diese Behauptung heute als faktenfrei und sogar als rufschädigend bezeichnet. Das Bundesstrafgericht habe ich persönlich seit seiner Gründung 2004 immer wieder erlebt. Es war ein kritisches Gericht gegenüber der Bundesanwaltschaft. Da wurden wichtige Anklageschriften zurückgewiesen, um Beispiel die dieser Ostmafia mit Operationsgebiet Schweiz, und es gab aufsehenerregende Freisprüche. Viktor Vekselberg ist so ein Fall, auch die Hells Angels sind einer. Das Gericht hat kritische Fragen gestellt und durch eine intensive Befragung zum Beispiel im Atomschmuggelfall Tinner Öffentlichkeit geschaffen.
Der Strafrechtsexperte Mark Pieth sagt, der Staat müsse auch einen Freispruch wegstecken können. In diesem Fall wäre das aber ein Debakel gewesen?
Das sehe ich anders. Ein echter Misserfolg ist nicht ein Freispruch, sondern ein langjähriges Verfahren, das versandet. Das Problem sind teilweise auch die Medien. Sie schüren eine Erwartungshaltung. Aber wenn es kein Gesetz gibt, das zur Verurteilung genügt, dann gibt es eben Freisprüche.
Ein Beispiel dafür ist die Zigarettenmafia. Da gab es 2012 sieben Freisprüche und zwei Schuldsprüche. Die Verurteilten haben den italienischen Staat – konservativ geschätzt – um vier Milliarden Franken geschädigt. Die Erwartung der Öffentlichkeit wurde nicht erfüllt. Ein anderes Beispiel ist der Flugzeugabsturz der Crossair. Die Bundeanwaltschaft musste aufgrund des öffentlichen Drucks Anklage erheben und der Fall endete mit einem Freispruch. Es wäre nicht anders gewesen bei Behring. Die Deliktsumme betrug 800 Millionen Franken. Es wäre nicht auszudenken gewesen, welche Kritik da gekommen wäre, wenn keine Anklage erhoben worden wäre. Dann hatte man gesagt, die Grossen lasse man laufen, dafür wird jeder kleine Dieb gejagt.
Die Bundesanwaltschaft und auch das Bundesstrafgericht stehen seit Jahren in der Kritik. Sie seien ineffizient, sie beurteilten die falschen Fälle, sie gingen dilettantisch vor. Wird das heutige Urteil die Kritiker umstimmen?
Zuerst mal: Die Kritik, die Sie anführen, trifft vor allem die Bundesanwaltschaft, und da können wir wieder auf den Fall Behring zurückgreifen, denn der reicht genau in diese Vergangenheit zurück. Da war zuerst das Untersuchungsrichteramt zuständig, dann wurde der Fall von der Bundesanwaltschaft übernommen, das war der Flaschenhals. Schliesslich wurden die beiden Stellen zusammengelegt, also wäre der Zeitverlust eliminiert. Bundesanwalt Lauber ist 2012 angetreten und er will sich auf gewisse Kriminalitätsfelder konzentrieren. Insgesamt hat die Bundesanwaltschaft Anklagen jedoch gemacht in den grössten Fällen von islamistischem Terror, bei Frauenhandel, Wirtschaftskriminalität, Atomschmuggel, bei Datendieben. Und mir ist aufgefallen, im Gerichtssaal gab es keinen Klamauk, da herrscht Höflichkeit, Sachkunde und Kompetenz.
Das Gespräch wurde von Samuel Wyss geführt.