Das Zughorn ertönt aussergewöhnlich lange – ohne Unterbruch – dann folgt Stille. Die Gewissheit folgt einige Minuten später – nämlich dann, wenn die Sirenen der Rettungskräfte ertönen.
Sogenannte Schienensuizide kommen zwischen Turgi und Brugg (AG) häufiger vor als andernorts, denn hier liegt die Psychiatrische Klinik Königsfelden. Urs Hepp ist hier Chefarzt und einer der führenden Suizidspezialisten der Schweiz: «Es ist jedesmal schrecklich, wenn ein Suizid geschieht.»
Sowohl für die Mitarbeitenden wie für die Patienten sei das äusserst belastend. «Wir müssen die Patienten ja informieren, man kann's nicht verheimlichen», stellt Urs Hepp klar. «Wir müssen aber auch schauen, dass dies nicht zu Nachahmungssuiziden führt.»
Gespräche mit Team und Patienten
Nachahmungssuizide sind auch der Grund, weshalb das Thema in den Medien nur selten Platz findet. In der Psychiatrischen Klinik Königsfelden ist die Situation noch heikler, denn hier befinden sich besonders viele suizidgefährdete Menschen.
Je nach Gemütszustand der Patientengruppe müsse man anders reagieren, sagt Hepp. «Wir diskutieren im Team, wer von den Patienten speziell gefährdet sein könnte», erklärt der Chefarzt. Je nach Ergebnis der Gespräche folgten rigide Massnahmen: «Allenfalls muss eine Station vorübergehend geschlossen geführt werden, um zu verhindern, dass es weitere Suizide gibt.»
Suizidale Krisen sind häufig zeitlich sehr begrenzt. Sie können wenige Minuten, vielleicht eine Stunde dauern.
Neben Gesprächen gibt es aber auch ganz praktische Massnahmen, die in Königsfelden helfen, Suizide zu verhindern. Beispielsweise ist die Bahnlinie im Umfeld der Klinik von Zäunen umgeben. Die kann man zwar übersteigen, aber solche Hindernisse machten trotzdem Sinn, argumentiert Urs Hepp: «Suizidale Krisen sind häufig zeitlich sehr begrenzt. Sie können wenige Minuten, vielleicht eine Stunde dauern.» So könne jede Zeitverzögerung dazu führen, dass sich jemand nochmals Gedanken macht und vielleicht von der Idee weg kommt, sich das Leben zu nehmen.
Auch technische Massnahmen könnten helfen
Auch die SBB könnte hier mehr tun, glaubt Urs Hepp. Das ganze Schienennetz könne man natürlich nicht sichern, aber beispielsweise Bahnhöfe, wo sich Menschen häufig umbringen. Dort könne man mit wenig viel erreichen. «Zum Beispiel mit Bewegungsmeldern, mit Flutlicht oder akustischen Signalen könnte man verhindern, dass Leute sich den Geleisen nähern», sagt der Suizidspezialist. Man könnte aber auch mit Videoüberwachung arbeiten, «um zum Beispiel Züge zu stoppen, wenn sich jemand in der Nähe der Geleise aufhält».
Ein Signal, ein Licht, eine Stimme genüge manchmal schon, um Menschen in dieser Krise von ihrem letzten Entscheid abzubringen. Die SBB hat das Problem erkannt: An einer Fachtagung am Mittwoch sind nämlich auch bauliche Massnahmen zur Verhinderung von Suiziden ein Thema.